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Straight White Male: Roman (German Edition)

Straight White Male: Roman (German Edition)

Titel: Straight White Male: Roman (German Edition)
Autoren: John Niven
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eins
    Bequem in den Clubsessel gelehnt, schlug Kennedy Marr die Beine übereinander und starrte aus dem deckenhohen Fenster, als müsse er die Frage überdenken. Von seinem dank der Klimaanlage angenehm gekühlten Platz hoch oben in Century City blickte er gen Osten – das Haifischbecken der Creative Artists Agency befand sich nur ein paar Schritte die Straße runter. Tief unter sich sah er Downtown Los Angeles in der Julihitze schmoren. »Broiling« nannten es die Einheimischen. Gott, diese Amerikaner. Seit acht Jahren lebte er jetzt hier und wusste immer noch nicht, was »broiling« eigentlich war. Ein Mittelding aus »frying« und »boiling«? Wäre »froiling« da nicht besser? Egal, es war erst kurz nach elf Uhr und bereits elend heiß. Diese degenerierte Stadt, ein einziges Vergehen an der Natur – ein riesiger Garten, aus einem Wüstenbecken gehauen. Als würde man ein zwanzigtausend Hektar großes Treibhaus in der Arktis unterhalten. Er war sich bewusst, dass Dr. Brendle – in Kennedys Augen eine der degenerierteren Schöpfungen dieser degenerierten Stadt – ihn erwartungsvoll ansah. Sein verkniffenes, bierernstes Gesicht harrte offenbar einer Antwort. In diesem Augenblick dämmerte Kennedy, dass er den Wortlaut der Frage vollkommen vergessen hatte. Nein, er war kein guter Zuhörer.
    »Könnten Sie das bitte noch einmal wiederholen?«, fragte er und strich eine Falte aus dem Hosenbein seines Leinenanzugs. Er spürte das dumpfe Rumoren des üppig bemessenen Screwdriver, den er sich auf dem Weg hierher in einer Bar am Santa Monica Boulevard hinter die Binde gekippt hatte, um sich wie jede Woche für diesen höllischen Termin zu wappnen.
    »Nun, lassen Sie es mich anders formulieren«, sagte Brendle und klickte mit dem Kugelschreiber. »Warum befleißigen Sie sich als ein intelligenter Mann, der Sie doch sind und dessen Job unzweifelhaft einen Gutteil Selbstanalyse erfordert, beständig eines Benehmens, von dem Sie genau wissen, dass es Ihr Umfeld verletzt?«
    Kennedy gab vor, eine Weile darüber nachzudenken, während er an seiner Antwort feilte. Was er sagen wollte , war: »Warum schieben Sie sich Ihre Frage nicht in Ihren fetten Hintern?« Er stellte sich vor, die Worte tatsächlich auszusprechen, und malte sich aus, wie seine Aussprache härter wurde. Wie sie von dem weichen südirischen Akzent, den er für die alltäglichen Anforderungen des Lebens in den USA – Restaurants, Frauen, Talkshows – bereithielt, in den deutlich kantigeren Dialekt der Sozialbauviertel von Limerick umschlug, der ihm in die Wiege gelegt worden war. Schließlich sagte er: »Mir ist nicht ganz klar, was mein Beruf damit zu tun hat, Les. Sie wissen, was ich meine: ›Seid nicht zu eilig, wenn ihr den Morallehrern Vertrauen schenkt oder sie bewundert, sie predigen wie die Engel, aber leben wie die Menschen ‹ und all dieser Scheiß.«
    Brendle grinste. »Natürlich, ich verstehe.« Er machte sich eine Notiz.
    Du verstehst? Überhaupt nichts verstehst du, du grottendämlicher Affenarsch!
    Brendle seufzte, nahm die Brille von der Nase und rieb sich die Augen. »Mir ist völlig klar, dass Sie gerade lieber woanders wären, Kennedy. Mir ist auch bewusst, dass Sie Dr. Schlesinger den Vorzug geben würden.«
    Der Mistkerl erlaubt sich an dieser Stelle doch tatsächlich ein verstohlenes Lächeln.
    »Und darüber hinaus bin ich mir natürlich auch jener Freud’schen Maxime bewusst, nach der niemand unzugänglicher für die Psychoanalyse ist als die Iren. Aber wäre es angesichts der Tatsache, dass Sie gar keine andere Wahl haben, nicht vielleicht den Versuch wert, dieser Erfahrung zumindest irgendetwas abzugewinnen? Etwa, indem Sie sich bemühen zu verstehen, warum Sie eigentlich hier sind? Mir scheint …«
    Kennedys Gedanken schweiften ab. Im Anschluss an diesen Termin hatte er noch einen weiteren zu absolvieren. Im Büro seines Managers. Zwei Meetings an einem Tag? Wie um Himmels willen hatte er es dazu kommen lassen können? Er starrte auf die Wand hinter Brendle, musterte die gerahmten Diplome und Zitate. Ja, warum war er eigentlich hier? Es fiel ihm schwer, dies auf einfachere Weise zu beantworten als mit R. P. McMurphys Erwiderung auf ebendiese Frage: Weil ich mich prügele und gern ficke.
    Vor ein paar Monaten, im Frühling, war Kennedy während der Happy Hour im Powerhouse unweit des Hollywood Boulevard – einem von ihm regelmäßig frequentierten, weil recht ergiebigen Jagdrevier – bei seinem fünften oder sechsten Long
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