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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang
Autoren: Paul Grote
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die Dächer und das Tal hatte ihm den Druck genommen. Aber wie konnte Leere Druck ausüben, welches physikalische Gesetz stand dahinter? Er trat auf die Straße, sah das offene Garagentor und zog es zu, nachdem er nachgesehenhatte, dass niemand hier war. Würde es diese Frau Wackernagel nicht als Unhöflichkeit betrachten, dass er sie nicht begrüßt hatte? Die Haushälterin hatte sicher längst mit ihr über seine Anwesenheit gesprochen, wenn Sauter nicht gestern bereits sein Kommen angekündigt hatte. Schweren Herzens und mit dem Gefühl, nach Luft zu ringen, wandte Georg sich nach rechts und betrat von der Straße her den Eingang neben dem Schaufenster mit den vergilbten Fotos. Sauter sollte sie gegen neue austauschen.
    Frau Wackernagel war anders, als er sie sich vorgestellt hatte. Er hatte eine Dame um die fünfzig erwartet, gesetzt, solide, ernst, aber hier saß ihm eine junge Frau gegenüber, kaum älter als fünfundzwanzig, in rosa Röhrenjeans, gestreiften Ballerinas und in lindgrünem, über die Hüften fallendem Top. Sie war durchaus eine Großstadttype, die blonde Kurzhaarfrisur mit in die Stirn gekämmtem Haar unterstrich den jugendlichen Eindruck. Sie stand vor einem Aktenregal, drehte sich ihm rasch zu und hielt ihm ihre schmale Hand entgegen.
    »Sie müssen Herr Hellberger sein. Herzlich willkommen bei uns. Ich bin gleich für Sie da, ich suche nur noch einen Vorgang.« Sie blickte zur Seite, wo eine aufgeschlagene Zeitung auf dem Schreibtisch lag, es war die gleiche Ausgabe, die er beim Frühstück gesehen hatte, mit dem Foto von der Fundstelle der Wasserleiche und der Feuerwehr.
    »Sie haben den Toten ganz in der Nähe gefunden, ein Spaziergänger hat ihn entdeckt. Ich stelle mir das schrecklich vor, jemanden so zu finden – ganz gruselig, im Wasser. Ich habe noch nie einen Toten gesehen. Ich will das auch nicht. Es ist total krass, wenn man jemanden auch noch kennt  – oder kannte.«
    »Sie kannten den Winzer?«, fragte Georg, erstaunt darüber, dass sie so anders reagierte als sein Gastgeber. »Ihr Chef hat sich heute Morgen so verhalten, als würde er ihn nur flüchtig kennen.«
    »Ach was, der Chef tut nur so. So ist er manchmal, wenn er Dingen aus dem Weg gehen will. Sie kennen ihn nicht. Das geht ihm nah, das zeigt er nicht, auch wenn wir Scherereien mit ihm hatten.«
    »Mit dem toten Winzer? Weshalb das?«
    »Ich suche ja gerade die beiden Ordner. Der Anwalt hat angerufen, der benötigt irgendwelche Aktenzeichen. Wir streiten uns seit Jahren mit Herrn Albers um eine Parzelle zwischen der Sonnenuhr und dem Schlossberg, das sind beides ausgezeichnete Lagen. Und jetzt finde ich die verflixten Ordner nicht.« Etwas hilflos stand sie vor dem Regal und starrte auf eine Lücke. »Hier haben sie immer gestanden, und hier müssten sie sein.«
    »Ihr Chef hat sie vielleicht mitgenommen, glaube ich jedenfalls. Er kam mit zwei Ordnern aus dem Büro und legte sie auf den Rücksitz vom Wagen, bevor er losfuhr.«
    Erleichtert atmete sie auf. »Gut, dass Sie das sagen. Ich dachte schon, ich hätte sie verlegt. Es sind die Ordner mit den Akten vom Gericht und vom Anwalt. Ich bin gespannt, ob der Prozess weitergeführt wird, jetzt, wo er tot ist. Die Erben werden sich so kostbare Flurstücke nicht entgehen lassen. Gut, dass Sie mir das gesagt haben, ich werde den Chef anrufen und ihn fragen. Weshalb hat er sie mitgenommen?«
    »Das hat er mir nicht erklärt«, sagte Georg entschuldigend, »so gut kennen wir uns nun doch nicht.«
    »Ich dachte, Sie sind ein Freund?«
    Georg hielt es für besser, ihr beizupflichten, es würde ihm den Aufenthalt erleichtern.
    »Sie werden uns hier zur Hand gehen? Ich soll Sie quasi einarbeiten. Ich kümmere mich um die Kunden, um den Verkauf der Weine, die Bestellungen und die Rechnungen, Werbung, um den Kontakt mit den Weinhändlern, um Banksachen und so weiter. Der Chef meinte, Sie seien Geschäftsführer einer Firma …«
    »… gewesen«, unterbrach Georg den Redefluss, »gewesen,bis vor Kurzem jedenfalls. Jetzt mache ich … sagen wir mal so, ich mache ein … ein … Sabbatjahr.«
    Genau diese Frage, was er hier mache und bisher gemacht habe, hatte er befürchtet. Es war vorauszusehen, dass er danach gefragt wurde. Wenn er länger blieb und sich um geschäftliche Angelegenheiten kümmerte, konnte er sich schlecht mit Urlaub herausreden. Wie es wirklich in ihm aussah, was hinter ihm lag, ging niemanden etwas an, und erst recht nicht die junge Frau ihm gegenüber. Die
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