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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang
Autoren: Paul Grote
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mich brauchen, rufen Sie mich einfach. Irgendwo im Haus finden Sie mich. Wie lange schlafen Sie morgens? Wann möchten Sie frühstücken? Ab wie viel Uhr kann ich Ihr Apartment aufräumen und saubermachen? Ich soll auch für Sie kochen, hat Herr Sauter gesagt. Was essen Sie gern?«
    Georg fühlte sich der kleinen resoluten Frau, die kaum dreißig Jahre alt sein mochte, hilflos ausgeliefert. »Machen Sie sich meinetwegen keine Mühe, ich gehe irgendwo ins Restaurant …«
    »Das kommt nicht in Frage!« Ihre Art ließ wenig Raum für Widerspruch. »Sparen Sie Ihr Geld. Ich koche sowieso für Frau Wackernagel und Herrn Bischof und unseren anderen Mitarbeiter, für Klaus, unseren Lehrling.«
    Mühsam rang Georg sich zu einer Frage durch: »Wer ist Frau Wackernagel?« Sauter mochte es ihm gesagt haben, aber er hatte entweder nicht zugehört oder es vergessen. »Und wer bitte ist Herr Bischof?«
    »Die beiden kennen Sie noch nicht? Frau Wackernagel kümmert sich um den Vertrieb und betreut die Kunden, sie ist die Wichtigste hier, sie schreibt die Rechnungen für den Wein.«
    »Frau Wackernagel bleibt sicher den ganzen Tag über im Haus?«
    »Wenn genug zu tun ist, ja. Bischof finden Sie drüben im Keller, in dem Haus, in dem Sie wohnen, vielmehr ist nur der Eingang drüben, neben der Einfahrt, wo die Abfüllanlage steht. Beide Häuser sind unterkellert und beide Keller miteinander verbunden. Sie waren noch nicht unten? Wir liegen Gott sei Dank so hoch, dass uns das Hochwasser nicht erreicht, bis jetzt jedenfalls.«
    »Haben Sie auch mit Weinbau zu tun?«, fragte Georg, nur um etwas zu sagen.
    »Das hat hier jeder, direkt oder indirekt. Ich mehr indirekt, mein Mann direkt, er arbeitet auch auf einem Weingut, er ist Weinbautechniker, er sieht seine Zukunft als Betriebsleiter … aber wenn sie die Hochmoselbrücke bauen …« Sie brach mitten im Satz ab, als ihr Blick auf die Zeitung fiel. Sie wurde ernst. »Es ist ein Drama. Immer wieder ertrinkt hier jemand. Seine arme Frau tut mir leid. Ein Sohn hilft ihr, die anderen Kinder sind aus dem Haus, wer den Betrieb weiterführt, steht in den Sternen.«
    »Kannten Sie diesen … Winzer gut, Frau Ludwig?« Georg wiederholte ihren Namen, um ihn sich einzuprägen.
    »Seine Frau Dorothea kenne ich persönlich, wir singen zusammen im Chor in Traben-Trarbach. Dass ich mal auf seiner Beerdigung singen würde, hätte ich im Leben nicht gedacht.«
    Sie denkt praktisch, dachte Georg, die Beerdigung und die damit verbundenen Feierlichkeiten plant sie gleich ein. Wahrscheinlich denkt sie auch bereits über den Termin nach und ob sie zur Beerdigung gehen kann und was sie dazu anziehen wird. Der Unfall dieses Mannes schien sie mehr zu berühren als Sauter.
    »War er bekannt?«
    »Wer? Der Chor? Ach, Sie meinen Herrn Albers? Ja, ziemlich, der war bekannt, er hat sich besonders für den Erhalt des Steillagenweinbaus starkgemacht, er selbst bewirtschaftet nur Steillagen. Das ist hundertmal mehr Arbeit als auf Flach- oder Hanglagen und erst recht nichts für Leute mit Höhenangst. Haben Sie Höhenangst?«
    »Ich glaube nicht«, antwortete Georg unsicher und wunderte sich, wie die Haushälterin mit den Begriffen jonglierte. Er würde sich darauf einstellen müssen, dass an der Mosel jedes Kind mehr vom Weinbau verstand als er. Sich die Blöße zu geben, sie zu fragen, worin denn der Unterschied zwischen Flach-, Hang- oder Steillagen bestand, wagte er nicht.
    »Also, was soll ich heute kochen? Sie können es sich aussuchen – oder überlassen Sie die Wahl den anderen?«
    Er wusste es nicht, er hatte auf nichts Appetit, der Gedanke, sich mit Essen zu füllen, war ihm widerlich. So dünn wie jetzt war er zuletzt als Student gewesen. Dabei war er immer noch ein Brocken.
    »Lassen Sie die anderen übers Menü entscheiden, mir ist alles recht.«
    Er hatte mehr als zehn Kilo abgenommen, seit die Auseinandersetzungen in der Firma begonnen hatten. Die darauf folgende fristlose Kündigung und der ewige Streit mit Miriam und dass auch seine Töchter nichts mehr von ihm hatten wissen wollen, hatte ihm nicht nur jede Lust am Essen verleidet, sondern auch am Wein, an der klassischen Musik, und er nahm kein Buch mehr zur Hand und studierte stattdessen die Paragrafen des Arbeitsrechts.
    Das kompromittierende Material, das er in den letzten Monaten über seinen ehemaligen Arbeitgeber zusammengetragen hatte, lag sicher verwahrt. Einen dritten Satz Kopien und Gesprächsmitschnitte hatte er bei Pepe deponiert. Das
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