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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang
Autoren: Paul Grote
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winziges Bad. Im Parterre war die Einfahrt zur Kellerei, dort wurden die Trauben angeliefert und der Wein abgefüllt. Die Tanks standen im Keller.
    Gesehen hatte er noch nichts davon, Sauter hatte davonerzählt, er hatte die Fotos in seinem Prospekt gesehen, heute hatte Sauter ihm alles in natura zeigen wollen. Er hätte ihm sagen können, was zu tun war, er hätte ihn begleiten können, Sauter hätte die Wege vorgegeben, die Aufgaben gestellt, Fragen aufgeworfen, ihn eine Maschine reparieren lassen, was er gut konnte und gern tat, und eine Arbeit gehabt, die seine Leere ausgefüllt hätte. Sauter hätte ihn auch dazu gebracht, Fragen zu stellen, sich für die neue Kelter unten im Keller zu interessieren, ihre Funktionsweise, ihre Vorteile gegenüber den Vorgängermodellen, die Auswirkung der Kelter auf den Wein. Sie hatten den Riesling vom letzten Jahr oder vorletzten Jahr mit denen der Vorjahre vergleichen, eine sogenannte Vertikalprobe vornehmen wollen, wobei sich die Unterschiede der einzelnen Jahrgänge zeigen würden. Auch eine Horizontalprobe hatte Sauter angekündigt, um die Weine seiner unterschiedlichen Lagen, ihre Besonderheiten und die Handschrift des Weingutes zu erkennen.
    Verwundert bemerkte Georg, wie der nächste Passant ihn grüßte, mit einem Lächeln sogar, und er grüßte zurück, schaute ihm nach und lächelte erst, als der Mann ihm den Rücken zuwandte und einem Auto auswich, das ihm langsam in der Straßenmitte entgegenkam. Da fiel ihm auf, dass es nirgends Bürgersteige gab, die Gassen waren schlicht zu schmal, das Straßenpflaster reichte von einer Hauswand zur anderen, wie auch an die von Sauters Haus. Man trat direkt von der Straße auf die Schwelle oder nahm die zwei oder drei Stufen zur Haustür.
    Im Parterre links befand sich ein Ladenlokal, die Agentur eines Versicherungsvertreters: Versicherung, Vorsorge, Vermögensaufbau. Falls jemand dort auftauchte, könnte er ihn oder sie fragen, ob man sich gegen Leere versichern konnte, ob sich gegen Einfallslosigkeit Vorsorge treffen und ob sich Unvermögen aufbauen ließ. Sicher war es dafür zu spät, der Schadensfall war eingetreten, die Leere war da.
    Auf der rechten Seite stand Sauters Privathaus, ein dreistöckigerFachwerkbau aus dem sechzehnten Jahrhundert mit einem winzigen Laden im Parterre. Im Schaufenster standen seine Weine, und leicht gelbstichige und verblassende Fotos von irgendeiner Lese der letzten Jahre dienten als Schmuck, Farbfotografien von lachenden Erntehelfern, unter denen er den Winzer entdeckte, um einiges jünger als heute. Ein anderes Bild zeigte den Keltervorgang, jedenfalls war eine Presse zu sehen, aus der Most herauslief, wenn er das richtig sah.
    Dann gab es Bilder von Weinstöcken mit den Namen verschiedener Reben darunter, die an den Steillagen und Hängen im Moseltal wuchsen, allen voran der Riesling, dann Müller-Thurgau und Elbling, was immer das war. Die Rebsorte Kerner kannte er auch nicht, und Spätburgunder hieß auf den Weinkarten edler Restaurants meist Pinot Noir. Georg starrte die Bilder an, konnte aber beim besten Willen keinen Unterschied entdecken, für ihn sahen alle Rebstöcke gleich aus. Man musste Experte sein, um die Rebsorten anhand der Blätter zu erkennen.
    Und was hatte Sauter bei ihrem ersten Zusammentreffen bei einer Weinprobe in Hannover gesagt?
    »Sogar mir fällt es manchmal schwer, anhand des Geschmacks die Rebsorte zu bestimmen. Manche Aromen sind sehr typisch, aber gerade der Riesling ist eine Rebe, die an jedem Standort, in jedem Weinberg und in jedem Weinanbaugebiet und bei jedem Winzer ein wenig anders ausfällt. Aber wenn er gut gemacht ist, kommen sowohl das Terroir wie die Eigenheit der Traube zum Ausdruck.« Und dann hatte er ihm erklärt, was ein Terroir war.
    So hatte es begonnen, und jetzt stand er sozusagen in Sauters Terroir und wusste nichts damit anzufangen. Der Gastgeber, von dem er sich erhofft hatte, dass er ihm sagen würde, was zu tun war, hatte ihn zwar nicht im Regen stehen lassen, schließlich schien die Sonne, aber Georg wusste nicht im mindesten, wo oder womit er anfangen sollte. Nicht einmal der Kellermeister war ihm vorgestellt worden. Als ergestern Abend eingetroffen war, hatten Sauters Mitarbeiter längst Feierabend gemacht, und heute hatte sich bisher noch niemand blicken lassen.
    Er betrachtete erneut die Fotos mit den Rebstöcken und fragte sich, wann er in der Lage sein würde, zu beurteilen, um welche Rebsorte es sich handelte, und sich ein Urteil
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