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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang
Autoren: Paul Grote
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strich die Manschette seines weißen Oberhemdes zurück und schaute auf die Uhr, dann zog er leicht beunruhigt die Augenbrauen hoch, er griff nach der Kaffeetasse, trank den Rest, während Georg Hellberger auf seinen Frühstücksteller starrte und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie wenig ihm die überstürzte Abreise des Winzers behagte. Als Sauter die Einladung auf sein Weingut ausgesprochen hatte, war nicht die Rede davon gewesen, dass er sich hier allein würde zurechtfinden müssen. Er hatte sich den Aufenthalt etwas anders vorgestellt. Wahrscheinlich war es eine idiotische Idee gewesen herzukommen.
    Sauter schlang den Rest seines Brötchens hinunter, leckte den Honig ab, der ihm auf die Handfläche getropft war, und schob mit spitzen Fingern die Zeitung beiseite, um an seinen Terminkalender zu gelangen. »Der Trierische Volksfreund kommt täglich, da steht alles drin, was lokal wichtig ist. Für die nationalen Belange habe ich die Frankfurter Allgemeine abonniert, ihr Wirtschaftsteil wird immer wichtiger, seit die Banken an allen Fronten Krieg gegen uns führen. Aber das Thema haben Sie fürs Erste wohl hinter sich.«
    Gequält versuchte sich Georg an einem zustimmenden Grinsen, was ihm nicht gelang. Klar, dass Sauter auf seine fristlose Kündigung anspielte. Aber er hütete sich, weiter darauf einzugehen. Vieles von dem, was im letzten Monat vorgefallen war, durfte er höchstens seinem Anwalt anvertrauen. Die Überschrift auf der Titelseite des Lokalblattes half ihm, das Thema zu wechseln:
    Bekannter Winzer in der Mosel ertrunken
    Das Farbfoto daneben zeigte Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr am Ufer einer Schleuse im Licht eines grandiosen Sonnenuntergangs, der so gar nicht zu der Todesnachricht passte. In der fettgedruckten Einleitung unter der Überschrift fanden sich die wichtigsten Fakten: Die Leichedes fünfundfünfzigjährigen Peter Albers aus Bernkastel-Kues, Winzer und Hotelbesitzer in Pünderich, war am Vorabend von einem Urlauber vor der Zeltinger Schleuse entdeckt worden.
    »Heulten deshalb gestern die Sirenen?«, fragte Georg. »Ich hörte die Polizeiwagen, als ich meinen Koffer aus dem Wagen holte. Peter Albers! Kannten Sie den Mann?«
    »Flüchtig!« Sauter reagierte mit einer abwehrenden Handbewegung, als ob ihm die Nachricht lästig wäre oder ihn nicht sonderlich interessieren würde. Oder war er nervös? Immerhin hatte er eine Tour von mehr als tausend Kilometer vor sich, er wollte die Strecke bis Grosseto in der Maremma, wo seine Frau und er zu Beginn der neunziger Jahre ein Weingut gekauft hatten, wie er ihm gestern beim Abendessen erzählt hatte, an einem Tag bewältigen.
    »Ich kannte Albers, klar, wie man sich so kennt«, sagte er und tippte unwirsch mit einem kleinen Stift auf die Schreibfläche seines Planers. »Er war ein Kollege. Man begegnet sich hier und da, es ist unvermeidlich. Man bewegt sich am Fluss entlang, man trifft sich im Weinberg.« Damit war das Thema für ihn erledigt. Der Tod des Winzers berührte ihn nicht. Er hob den Kopf, sah Georg an, klappte dann aber den Mund zu und räusperte sich verlegen.
    Georg kannte sein Gegenüber nicht gut genug, um sein Verhalten richtig zu deuten. Sie waren sich dreimal in Hannover bei Weinpräsentationen begegnet und sich sofort sympathisch gewesen. Vom Äußerlichen her konnten sie kaum gegensätzlicher sein. Georg war groß und athletisch, hatte dunkles Haar, das erst jetzt langsam wieder sichtbar wurde, seit er sich den Kopf nicht mehr rasierte. Sauter war kleiner und ein bisschen rund, mit längerem gewelltem und ergrautem Haar wirkte er in seinem Aussehen geradezu gemütlich. Seine blassblauen Augen jedoch boten keinen Halt, machten ihn undurchschaubar, man schwamm beinahe durch sie hindurch. Georgs kantiges Gesicht und seine dunklen Augendagegen boten Widerstand, sie zeigten Entschlussfreude und Durchsetzungsvermögen, aber von beidem spürte er momentan nichts. Auch seine Menschenkenntnis war ihm abhandengekommen.
    Im Grunde war es ihm nicht klar, wieso Sauter ihn eingeladen hatte, wieso er ihn hier auf seinem Weingut wohnen ließ und ihm sogar nahegelegt hatte, sich um seine Geschäfte zu kümmern und den Betrieb mit dem Blick eines kaufmännischen Geschäftsführers zu durchforsten. War Sauter ein Menschenfreund, eines der wenigen Exemplare, von denen ab und an die Rede war wie vom Einhorn, das niemand jemals mit eigenen Augen gesehen hatte? Hatte Sauter ein Helfersyndrom wie Lehrer, Sozialarbeiter oder
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