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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang
Autoren: Paul Grote
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berührte. Er hatte von Klettersteigen über Klippen und Weinberge gelesen und dabei ans richtige Schuhzeug gedacht, von Schiefergeröll, auf dem man wegrutschte.
    Als er mit dem Ausräumen fertig war und den Koffer unters Bett geschoben hatte, erschienen ihm beide Räume so unbelebt wie zuvor, sie erschienen ihm so unbelebt wie er selbst, spurlos, und es war ja klar, dass sich seine Leere nach außen stülpen würde. Er schüttelte den Kopf über derartigen gedanklichen Wirrwarr, unglaublich, was man sich zusammenreimte, wenn nichts mehr zu tun war, wenn alle Aufgaben erledigt schienen und einem jede Möglichkeit zur Gestaltung fehlte.
    Bislang hatte es geheißen, dass er dieses oder jenes tun sollte, für dieses oder jenes geeignet war, seine Eltern hatten ihm sein Leben lang gesagt, was zu tun war, und er war auchnicht schlecht dabei gefahren, alle hatten es gut gemeint, genau wie seine Lehrer. Beim Militär war es besonders einfach gewesen, da gab es nur Befehle, und diesen Schwachsinn zu befolgen, war ihm leicht gefallen. Im Studium der Betriebswirtschaft hatte er sich an den Studienplan zu halten, um so und so viel Uhr hatte die Vorlesung begonnen, und er hatte brav gelernt.
    Sein Sportlehrer hatte ihn zum Judo geschickt, er hielt ihn für geeignet, und Georg war willig zu den Wettkämpfen erschienen, hatte einige gewonnen und auch Anerkennung. Sein Trainer hatte ihn eines Tages gefragt, ob er sich nicht als Security bei Rock- und Popkonzerten Geld verdienen wolle, um das Studium zu finanzieren. Er hatte eingewilligt, hatte die verrücktesten Bands live erlebt, sich mit Rockern angefreundet, wusste, wie ein gebrochener Arm sich anfühlte, auch Prügeleien hatte er durchgestanden, bis der Chef ihn immer häufiger wegen seiner BWL-Kenntnisse und seiner organisatorischen Fähigkeiten im Büro eingesetzt hatte.
    »Kraft im Arm haben viele, Kraft im Kopf dagegen wenige«, hatte Bönningstedt gemeint. Und nach bestandenem Examen hatte er ihn zu diversen Fortbildungslehrgängen im Sicherheitsbereich geschickt, Personenschutz, Objektschutz, Aufklärung und Abwehr von Industriespionage, sprich Spionage und Gegenspionage. Er hatte gelernt, richtig Auto zu fahren, Menschen zu beobachten, Bewegungen und Handlungen in der Entstehung zu erkennen und genau zu schießen.
    »Das müssen Sie nicht perfekt beherrschen, aber Sie müssen die Leistung anderer beurteilen.« Dann hatte Bönningstedt ihn schließlich zum kaufmännischen Geschäftsführer seiner Firma ernannt. »Sie sind zu schade für die Arbeit draußen, da holen Sie sich nur eine blutige Nase. Sie sind als Kaufmann besser.« Und Georg hatte wieder getan, was ihm jemand angeraten hatte.
    Bei Miriam war es ähnlich gelaufen. Anfangs hatte jemandgemeint, sie sehe gut aus, Bönningstedt hatte gesagt, man könne mit ihr repräsentieren, und seine Mutter war davon überzeugt, dass sie gut zu ihm passe … Und heute passte nichts mehr, gar nichts mehr, heute herrschte nur noch Krieg …
    Bei diesen Gedanken wurde es ihm eng in der Brust, schmerzhaft eng. Das Gefühl stellte sich immer häufiger ein, egal, wo er sich befand. Die Luft im Raum erschien ihm stickig. Er riss das Fenster auf und sah die Weinberge und hatte den befremdlichen Eindruck, ein Fenster zu einem Landschaftsfoto aufgerissen zu haben. Irgendwo am Hang, der rechts neben dem Haus anstieg, war die Lage Zeltinger Sonnenuhr. Sauter hatte es ihm bei einer seiner Weinpräsentationen in Hannover auf einer Karte gezeigt, eine berühmte Lage mit besonders teuren Weinen.
    Ob sie gut waren? Wer wollte das beurteilen? Sicher nur jemand, der etwas davon verstand. Georg hatte sie probiert, aber er war kein Maßstab. Für ihn war der Weinberg nichts weiter als ein mit Rebstöcken und grünen Blättern überzogener Berg. Wo die Sonnenuhr lag, hatte er vergessen. Hatte Sauter es ihm überhaupt gesagt?
    Links zwischen den Häusern schimmerte ein Stück der Mosel, so grün wie das Land an ihren Ufern. Es wäre besser für ihn, dorthin zu gehen, sich ans Wasser zu setzen, Steinchen hineinzuwerfen und sonst nichts zu tun. Es gab auch nichts weiter zu tun. Es war immer noch Zeit genug, sich beim Kellermeister und dieser Vertriebstante vorzustellen, mehr als genug, wenn nicht heute, dann morgen  – oder übermorgen? Niemand würde ihn vermissen.
    Er vergewisserte sich, den Hausschlüssel eingesteckt zu haben, zog die Tür hinter sich zu und stieg die Treppe hinab. Er brauchte Luft, er musste atmen, nicht einmal der Blick über
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