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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben
Autoren: Katrin Stehle
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Prolog
    Hab ich dich, denkt er und legt den Kopf in den Nacken. Wenn er die Augen schließt, sieht er lauter kleine Vierecke über sich an der Decke schweben, wie Bildschirme.
    Es kommt ihm vor, als hätte er ewig auf genau diesen Augenblick gewartet. Vielleicht sogar sein ganzes Leben lang. Er will ihn auskosten, ganz bewusst wahrnehmen. Es ist der Augenblick seines Triumphs, der, in dem er es ihnen endlich einmal zeigen wird. Der ultimative Beweis dafür, dass ihre Zeit vorbei ist. Jahrelang haben sie ihn nicht erkannt, ihn missachtet. Sogar sie. Ausgerechnet sie.
    Er merkt, dass er die Fäuste geballt hat, dass sich seine Fingernägel tief in das Fleisch gegraben haben. Wut. Aber Wut kann dazu führen, Fehler zu machen.
    Er löst die Fäuste, streckt die Finger. Atmen. Er wird keine Fehler machen. Keinen einzigen. Er hat sie alle in der Hand.
    Virtuelles Zeitalter. Ein Begriff nur und doch so viel mehr. Eine Chance für die Klugen, die technisch Versierten, den Status zu erhalten, der ihnen längstzusteht. Sie sollen endlich begreifen, dass die Welt nicht mehr ihnen gehört, dass ihre Methoden veraltet sind. Sie können Menschen wie ihn noch immer nicht auf ihre Partys einladen oder zu sprechen aufhören, wenn er näher kommt. Aber er ist längst dabei, immer anwesend. Und sie merken es nicht einmal. Keines ihrer Netzwerke gehört ihnen. Sie fühlen sich unter sich mit ihren Freundeslisten, wo sie alles preisgeben. Darum kennt er die meisten ihrer Schritte. Und ihre Gedanken. Anfangs war er enttäuscht, musste sich überwinden, dieses banale Zeug überhaupt zu lesen. Zehn Uhr – Cappuccino mit Laura im Schreier. Becky, ich liebe dich! Beste Freundinnen für immer! Müde, gehe gleich ins Bett *gähn*.
    Natürlich hat er immer gewusst, dass sie oberflächlich sind und so viel dümmer als er. Wenn einer einen IQ von 80 hat, gilt er als geistig behindert. 100 ist angeblich normal. Er hat einen von 150. Also unterscheidet er sich viel mehr von einem Durchschnittsmenschen als dieser sich von einem Behinderten. Zumindest kam der dämliche Kinderpsychologe, zu dem ihn seine Mutter geschickt hat, bei einem Test zu diesem Ergebnis. Nach zehn Minuten hatte er raus, wie der Mann tickte, und dabei war er damals erst acht Jahre alt. Ein halbes Jahr lang machte es ihm Spaß diesen Menschen an der Nase herumzuführen. Danach hat er sich eine Weile mit dem Knacken solcher Tests beschäftigt. Er ist sichsicher, dass er heute ein noch viel besseres Ergebnis erreichen könnte. Aber so was ist langweiliger Kinderkram.
    Er hat sich angewöhnt, die Statusmeldungen von einigen Schlüsselpersonen zu studieren, und wirklich, es hat nicht lange gedauert, bis er heraushatte, dass diese einiges wert sind, dass er so die Gewohnheiten der Leute gut kennenlernt. Manchmal macht er sich einen Spaß daraus, vorab zu raten, was er gleich in den jeweiligen Profilen finden wird …
    Aber er schweift ab. Unnötige Ablenkung von seinem Moment des Triumphes, der, mit dem alles beginnen wird, dieses große Spiel. Er sitzt hier, in seiner Kommandozentrale, und zieht die Fäden, hat den Überblick über alle Folgen, all ihre lächerlichen, kleinen Reaktionen. Er hat sie in der Hand. EinLächeln. Angeblich sollen sich dabei die meisten Muskeln im Gesicht entspannen. So ganz glaubt er das nicht. Ihm tun dann immer die Mundwinkel weh. Aber es legt die Gegner lahm, überzeugt sie von seiner Harmlosigkeit. Ein winziger Trick. Immer wieder wundert er sich, wie die meisten Menschen selbst auf so was Einfaches reinfallen. Selten lächelt er einfach so, weil ihm danach zumute ist. Nur gerade eben. Da ist es ihm passiert. Alles ist vorbereitet und perfekt, er muss nur noch auf Enter drücken. Er weiß selbst nicht, warum er zögert. Vermutlich, weil dieser Moment nach mehr verlangt, irgendetwas Feierlichem. Alkohol. Dabei trinkt er nie. Trinken ist was für Schwächlinge, Leute, bei denen es sowieso egal ist, ob sie die Kapazität ihres Hirns nutzen oder nicht, weil nicht besonders viel da ist. Normalerweise sind ihm seine Eltern ziemlich gleichgültig, genauso wie er ihnen. Der Unterschied ist nur, dass sie nicht wissen, dass er das weiß. Dass sie ihm weiterhin eifrig Karten zu seinem Geburtstag überreichen mit albernen Sprüchen über ihre angebliche Liebe. Dabei sind sie sich nur selbst wichtig. Aber wenn die beiden zu trinken anfangen, werden sie peinlich. Dann kann er nicht anders als auf sie herunterschauen. Nicht dass sie Alkoholiker wären oder betrunken
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