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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben
Autoren: Katrin Stehle
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paar umknicken. Aber schließlich sind es Blumen. Sie wachsen einfach. Militärisch gerade oder kunterbunt, das ist ihnen egal. Ich atme tief durch, als ich durch das Gartentor bin.
    Es fängt wieder an zu regnen. Dicke Tropfen platschen in Pfützen, machen kleine Kreise. Einen Moment lang fühle ich mich ganz wach, so als wäre das halbe Jahr nicht geschehen. Als läge nichts zwischen derjenigen, die ich war, bevor Clara fortging, und derjenigen, die ich heute bin. Als hätte es all die Treffen mit Julia nie gegeben, als wäre ichnichtplötzlich aufgestiegen in der Hierarchie unserer Schule. Oder eine andere geworden.
    Es ist ja nicht so, als hätte uns niemand bemerkt, Clara und mich. Wir waren »die anderen«, die, die nicht wirklich dazugehören, aus der Ferne betrachtet. Aber auch nicht diejenigen, über die alle lästern. Bunte Tupfen im Modeallerlei. Einen Moment lang vergesse ich, dass ich meine bunten Chucks mit den verschiedenfarbigen Schnürsenkeln eingetauscht habe gegen neue, dass ich zwei gleiche Socken trage, einen Moment lang bin ich wieder die Künstler-Sofie. Am liebsten würde ich die Arme ausstrecken. Einen Regentanz machen. So wie Clara und ich früher.
    Wir sind sieben oder acht Jahre alt. Tatjana, das Hausmädchen, hat mir eine Matratze gerichtet, dicht neben Claras Bett. Wir haben bereits unsere Nachthemden an. Ich bewundere das von Clara. Es ist weiß mit Spitze unten dran, sieht aus wie ein Prinzessinnenkleid, finde ich. Clara lacht. Tatjana hat es ihr aus ihrer Heimat mitgebracht. Ich schäme mich ein wenig für mein normales Hemd mit den rosa Bärchen drauf. Clara meint, ich könne doch Tatjana fragen, ob sie mir nächstes Mal, wenn sie nach Hause fährt, nicht auch eines mitbringen könnte. Ich weiß jetzt schon, dass meine Eltern und meine Schwester Maren mich dann auslachen werden.
    Während es draußen donnert und Blitze die alten Bäume im Garten gespenstisch zum Leuchten bringen, üben wir Salto von ihrem Bett auf die Matratze. Irgendwann bleiben wir lachend halb auf dem Boden liegen. Claras Wimpern leuchten hell, ihre Augen sind zwei dunkle Löcher im Licht des Blitzes. Der Regen setzt ein, trommelt gegen das Fenster. Der Wind ist so laut, dass man ihn durchsgeschlosseneFensterhörenkann.
    Clara nimmt meine Hand, zieht mich auf den Balkon, der an ihr Zimmer angrenzt.
    Draußen packt der Wind mein Haar, zerrt daran. Ich fühle mich wie in einem Film, seltsam schwerelos.
    Clara beugt sich über die Brüstung. »Regentropfen fangen«, sagt sie und streckt die Zunge heraus.
    Ich stelle mich neben sie, spüre die Wärme ihres Körpers neben meinem. Die Zunge dagegen wird kalt im Wind. Regentropfen fange ich keine. Deshalb strecke ich die Hände aus. Warmer Sommerregen prasselt auf meine Hände, läuft an ihnen entlang.
    Die Abstände zwischen Blitz und Donner werden länger.
    »Komm, wir gehen runter!« Clara deutet auf den Garten.
    Ich starre sie an. Blitze in ihren Augen, wie immer, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Und wie immer ist es ansteckend. Ich kann ihre Ideen noch so verrückt finden, diesem Blick kann ich nicht widerstehen. Und das weiß sie genau.
    Kurz darauf hüpfen wir durch den nassen Rasen, die Nachthemden kleben uns an den Beinen fest. ClarasHemd ist durchsichtig geworden, die roten Herzen auf ihrer Unterhose scheinen durch.
    Wir laufen schneller, Richtung See, schlittern über das nasse Gras. Ich versuche mich an ihr zu halten, als ich ausrutsche, und ziehe sie mit mir.
    Sie lacht als Erste und wälzt sich im nassen Gras.
    Ich stehe auf, nehme Anlauf und schlittere dann.
    Wir spielen Schlittschuhlaufen im triefenden Gras.
    Irgendwann taucht Tatjana auf, ein Blitz erhellt ihre großen Schneidezähne. Sie lacht und packt Clara rechts und mich links, zieht uns ins Haus.
    Dort rubbelt sie uns mit großen, weichen Handtüchern, die nach Blumen riechen, trocken. Es riecht nach heißem Kakao, den sie extra für uns gekocht hat.
    Ich breite die Arme aus, drehe mich einmal im Kreis und lande natürlich sofort in einer Pfütze. Mein Schuh ist klatschnass, eisig kalt. Heute macht niemand mehr Kakao für mich, und meinen Eltern begegne ich am besten erst morgen wieder. Ich versuche, den klammen Schürsenkel neu zu binden. Da fällt ein Schatten auf mich. Ich sehe abgewetzte Turnschuhe, weite, schwarze Hosen und einen ebensolchen Kapuzenpullover. Vor mir steht ein fremder Junge. Dunkle Augen und Haare, die vorne etwas länger und blondiert sind.
    Ich richte mich auf,
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