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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben
Autoren: Katrin Stehle
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irgendeinen ihrer gewagten Versuche und ich ein Foto. Das sind unsere Rollen. Sie ist die Abenteurerin und ich diejenige, die alles dokumentiert, eine Art Beobachterin.
    Blümchenschuhe baumeln von einem Baum, balancieren über einen Dachfirst, laufen ins eiskalte Wasser des nächtlichen Bodensees, umspült von einem toten Fisch … Mein erstes Fotokunstprojekt. Ein Hit bei meinem Kunstlehrer. Jetzt irgendwo ganz unten in meiner Kommode. Julia findet es eklig und David will sicher keine Freundin, die so seltsame Projekte macht. Wobei es ja nun, wo es aus ist zwischen uns, egal ist, was David will.
    Ob Mario mich deshalb auch komisch finden würde? Mario findet, was ich finde. Aber genau das ist das Problem. Ich habe vergessen, was ich finde. Oder es nie gewusst.
    Etwas feuchtkaltes trifft mich im Gesicht. Ich fange es automatisch auf und wundere mich selbst, wie schnell ich noch reagieren kann. Nach vier Cola-Rum oder sogar fünf.
    Julia sagt, dass ich mal langsam aufhören soll, Cola-Rum zu trinken.
    Ich lasse sie reden. Das Einzige, was ich will, ist, dass David seine Hand von Julias Hintern nimmt. Aber das kann ich nicht sagen. Eifersüchtig sind nur Verliererinnen.
    Ich lächle Julia an und bemerke erst in diesem Moment, wie bitter das Fruchtstück in meinem Mund schmeckt, keine Ahnung, um was für eine Frucht es sich handelt. Vielleicht ist das aber auch egal. So egal wie alles.
    Noch einen großen Schluck nehmen. Alles runterspülen. Plötzlich ist Davids verschwommenes Gesicht dicht vor mir, er greift nach meinem Glas und erwischt stattdessen meine Hand.
    »Sofie«, sagt er leise, ernst. »Du hast genug.«
    Ich könnte lachen über sein erwachsenes Getue. Das so falsch ist wie die braunen Haare meiner Mutter. Aber seine Hand ist warm. Und sie tut gut. Oder ist es meine Erinnerung, die guttut?
    Ich mache meine Hand frei, entreiße ihm das Glas. Es schwappt über. Ein wenig Cola-Rum tropft auf den Boden. Egal.
    Plötzlich kommt mir alles lächerlich vor. Das Wir-sind-alle-fröhlich-und-machen-Party-Getue, Davids und Julias Geknutsche. Die zuckenden Tanzenden. Ich gehöre nicht dazu. Und eigentlich habe ich das nie.
    Ich bin Sofie, die Künstlerin. Noch immer. Tief drin. Schon als Kind habe ich am liebsten gemalt, kleine Welten aus Karton gebaut. Und niemand kann mir das nehmen.
    Rascheln im Gebüsch. Irgendwas, das wie Schritte klingt. Ein Schatten an der Hauswand. Ich merke, wie ich erstarre, schneller gehe. Vielleicht hätte ichdoch nicht allein gehen sollen. Außerdem habe ich meine Jacke vergessen …
    Ich drehe mich um. Nichts mehr zu sehen. Nichts zu hören. Nur mein eigener Herzschlag.
    Auf der Hauptstraße fühle ich mich sicherer. Autos, Scheinwerfer spiegeln sich in Pfützen. Ein Tropfen fällt von einer Hecke mitten auf meinen Kopf. In der Ferne bellt ein Hund.
    »Ich gehe dann mal«, sage ich.
    »Warte noch einen Moment, dann kann dich Marie mitnehmen.« Julias besorgter Blick.
    »Braucht's nicht.«
    »Komm, du glaubst doch nicht im Ernst, wir würden dich so nach Hause gehen lassen?« Davids hochgezogene Augenbrauen.
    Ich grinse ihn an. Dann hebe ich langsam den Zeigefinger, tippe ihm damit an die Nase. Er zuckt zurück.
    »Keine Chance«, Julia hält meinen Arm fest. »Du bist so zu. Da könnte alles Mögliche passieren.«
    Ich dachte, wenn man richtig betrunken ist, weiß man nicht mehr, was man tut. Ich weiß das sehr wohl. Es ist eher so, als würde ich nun Dinge tun, ohne vorher hundertmal nachzudenken, wie andere das finden. Eigentlich genau so, wie Clara immer lebt.
    Trotzdem weiß ich, dass ich keine Chance habe. Dass Julia mich niemals allein nach Hause laufen lassen wird. Und vielleicht wird es gerade deshalb plötzlich so wichtig.
    »Ich muss mal«, murmle ich.
    »Keine Tricks«, Julia lässt meinen Arm nicht los. »Sei vernünftig.«
    Keine Ahnung, wie sie auf die Idee kommt. Seit ich mit ihr befreundet bin, bin ich immer vernünftig. Vernunft ist sozusagen mein Nachname. Sofie Vernunft. Komischerweise finde ich das plötzlich zum Kichern.
    »Ehrlich.« Ich kneife die Beine zusammen. »Wäre doch peinlich, wenn ich auf den Teppich …«
    Sie sieht geschockt aus.
    David starrt mich mit offenem Mund an.
    »Na dann bis gleich.« Ich gehe in Richtung Flur, merke, dass ich grinse.
    Die Nachtluft ist kalt. Es riecht nach Regen, nach frisch geduschter Welt. Ich trete hinaus aus ihrer Welt, laufe den Weg durch den Vorgarten entlang. Lauter schnurgerade Blumenbeete. Am liebsten würde ich ein
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