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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben
Autoren: Katrin Stehle
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bin.
    Ich überlege, heimlich zu ihr zu fahren, auch wenn es fast 300 Kilometer sind. Aber die Sehnsucht nach Oma bewirkt, dass die Taubheit immer mehr vergeht. Ich bemerke, dass sie schon lange da ist. Dass sie etwas mit Clara zu tun hat. Und mit dem Teil von mir, den sie mitgenommen hat auf ihr Schiff.
    In diesem Moment kommt etwas von meinem verlorenen Ich zurück. Die Idee einer verrückten Aktion.
    Und ich erfinde Mario. Mario, den ich am Samstag wiedergetroffen habe, als ich angeblich meine Oma besucht habe. Mario, den Nachbarn meiner Oma, der mich schon seit Jahren heimlich liebt. Es trifft sich ganz gut, dass David und ich im gleichen Moment gemerkt haben, dass es nichts Ernstes mit uns ist.
    Meine Schwester hätte das sicher anders hinbekommen. Sie wäre einfach in die Schule gegangen, hätte zu Julia und David gesagt: »Entschuldigt, ich hätte es fairer gefunden, wenn ihr mir das persönlich gesagt hättet.« Und damit wäre die Sache erledigt gewesen. Niemand hätte erwartet, dass sie die ganze Zeit so tut, als würde ihr das alles gar nichts ausmachen. Aber andererseits passiert so was meiner Schwester auch nicht. Maren wird nicht verlassen, sie verlässt. Maren, die spielend den Notenschnitt fürs Medizinstudium geschafft hat. Maren, die immer die richtigen Freunde hat.
    Maren wird von allen gemocht. Niemand glaubt, dass sie komisch ist. Familien-Loserin ist meine Rolle. Es war nie leicht, ich zu sein. Aber es war auszuhalten. Bis Clara ging und ich allein war und ich beschlossen habe, dieser Rolle zu entkommen.
    Ich starre auf Marios Worte, die vor meinen Augen verschwimmen. Wie kann er posten, wenn ich gar nicht zu Hause bin? Ich verstehe das alles nicht. Zuviel Bowle wahrscheinlich. Vermutlich kann ich deshalb nicht mehr richtig denken. Meine Augen tun weh, mein ganzer Kopf.
    Ich klappe mein Laptop zu, lasse mich auf mein Bett fallen.
    Morgen, denke ich noch, morgen …
    Ich trinke, schütte mir mehrere Gläser Wasser in den Mund. Ich spüre nichts davon, mein Mund bleibt staubtrocken.
    Als ich aufwache, merke ich, dass ich vom Trinken nur geträumt habe. Ich schlucke, um meine Kehle anzufeuchten. Es hilft nicht viel. Draußen ist es noch immer stockdunkel und so leise wie nur am frühen Morgen.
    Im Bad lasse ich Wasser in meinen Zahnputzbecher laufen, sehe mich selbst im Spiegel darüber. Dunkle Schatten unter meinen Augen. Ob das den Jungen auf der Straße so erschreckt hat? Den, der gar nicht da war? Aber ich habe ihn doch wirklich gesehen? Egal.
    Ich weiß auch nicht, warum ich das Gefühl habe, sein Gesicht noch so deutlich vor mir zu sehen.
    Die Klospülung rauscht. Hoffentlich wacht davon niemand auf. Meine Mutter hat einen leichten Schlaf … Die Uhr auf dem Badezimmerradio zeigt 5.42 Uhr. Viel zu früh. Ich lausche in den Flur hinaus. Alles ruhig.
    Da war doch was? Marios Post, den ich nicht geschrieben habe? Ich muss doch betrunkener gewesen sein, als ich dachte. Halluziniere Jungs und Facebook-Nachrichten. Meine Schwester Maren würde entweder über mich lachen oder sich Sorgen machen, dass ich verrückt werde wie Tante Marion. Das haben sie, als ich ein Kind war, manchmal schon geflüstert. Angeblich sah ich Marion ähnlich und sagte schon damals manchmal Sachen, die irgendwie komisch waren. Als kleines Kind hielt ich das für ein Kompliment, weil ich Marion bewunderte. Später, als ich älter war und es Marion schlechter ging, wusste ich, was das heißt. Es war immer eine Art Drohung, die im Raum hing. Vielleicht ist Sofie ja wie Marion? Was machen wir nur, dass sie nie endet wie Marion?
    Ich beiße mir auf die Lippe, schüttle den Gedanken fort. Seit ich mit Julia befreundet bin, hat niemand mehr davon geredet, seitdem waren sie endlich einmal zufrieden mit mir. Dabei musste ich gar nicht viel tun, um Julia besser kennenzulernen. Eigentlich nichts, außer mich von Clara fernhalten.
    Zuerst ist Julia nur ein Schatten. Ich liege auf dem Bauch und lese irgendeinen Roman, der mich eigentlich nicht wirklich interessiert. Einfach nur, um irgendwas zu tun zu haben, damit es nicht komisch ist, so allein zu sein. Damit ich nicht ständig an Clara denken muss, daran, wie wenigwichtig ihr unsere Freundschaft anscheinend ist. Und das nach so viel Zeit, so vielen geteilten Geheimnissen …
    »Hi«, sagt eine Stimme, die mir vage bekannt vorkommt. Ich blinzle gegen die Sonne, sehe hochgestecktes Haar und eine schlanke Figur. Sie breitet ihr Handtuch neben meins, gerade so, als würde sie das immer
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