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Fey 02: Das Schattenportal

Fey 02: Das Schattenportal

Titel: Fey 02: Das Schattenportal
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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    In der Sakristei roch es merkwürdig. Als Matthias die Eichentüren leise hinter sich schloß, überlief ihn eine Gänsehaut. Die Schnitzereien drückten sich in seine Handflächen. Ohne hinzusehen, wußte er, daß er seine Hände genau auf die Szenen von der Geburt des Roca gelegt hatte. Eigentlich liebte er diese Darstellung: Der Wassertunnel wölbte sich schützend über dem Baby; die entgeisterten Gesichter der Eltern; das Gesicht des Heiligsten in den Wolken. Aber heute blieb Matthias nicht stehen, um sie zu betrachten. Heute ließ er die Hände sinken und stand reglos in der Stille, die ihn umgab.
    Der Geruch war nur schwach, aber im letzten Jahr war er ihm vertraut geworden. Blut. An diesem heiligen Ort.
    Sein Mund wurde trocken. Er wollte schlucken, aber er konnte nicht. Er ballte die Fäuste, um nicht die Lehnen der Betbänke zu berühren, wie es sonst seine Gewohnheit war, um zu überprüfen, ob niemand die Verzierungen beschädigt hatte. Statt dessen zog er seine Sandalen aus und stellte sie neben die Tür, damit seine Füße auf dem Boden kein Geräusch verursachten.
    Wenn der Rocaan diesen Gang entlangschritt, gingen die Auds vor ihm her und entrollten einen roten Teppich. Andere Auds folgten und rollten den Teppich hinter dem Kirchenoberhaupt wieder auf, damit keine anderen Füße als die des Rocaan ihn je betraten. Oft hatte Matthias bei diesem Anblick gedacht, daß es aussah, als ginge der Rocaan auf einer roten Insel.
    Blut … Rot.
    An Matthias’ Füßen klebte Bohnerwachs. Er sah keinen Menschen. Er schien ganz allein im Raum zu sein, und das machte ihn noch nervöser als der Geruch.
    Eigentlich war die Sakristei einer seiner Lieblingsplätze. Dort pflegte er sich zu erholen. Und manchmal, wenn der Chor sang, kam es ihm vor, als könnte er das Ohr Gottes berühren.
    Alles schien unverändert. Die Bankreihen schimmerten im Schein des bunten Oberlichtes, das in die Decke des Raumes eingelassen war. Auch die Wände zeigten Szenen aus dem Leben des Roca, und als die Sonne sich hinter die Wolken zurückzog, tanzten die bunten Lichtreflexe der Lampen auf dem Boden. Nachts, wenn die Lampen gelöscht wurden, besaß der Ort trotz der brennenden Kerzen eine dunkle, geheimnisvolle Ausstrahlung.
    Auf den Bänken lagen rote Kissen, aber auch sie schienen fleckenlos sauber, ebenso das rote Tuch, das den Altar bedeckte. Niemand schien die silberne Schale mit dem Weihwasser berührt zu haben, und die Fläschchen auf dem Bord unter dem Opfertisch sahen aus wie immer. Bei einem Überfall an diesem Ort konnte das Opfer als erstes nach dem Weihwasser greifen.
    Er war ein Narr.
    Er war nur vorsichtig. Der Geruch war schwach, aber unverkennbar.
    In der Sakristei war es kalt. Matthias überlief ein Schauder, dann setzte er gemessenen Schrittes seinen Weg fort. Schließlich erreichte er das Zentrum der Sakristei, wo die Bänke zu einem kleinen Kreis zusammengeschoben waren. Darüber hing, mit der Spitze nach unten, die größte Nachbildung des Schwertes des Rocaan. Matthias hatte sich schon oft gefragt, was passieren würde, wenn das Schwert mitten im Gottesdienst herunterfiel. Aber das war nie geschehen. Das Schwert wurde von Seilen gehalten, die von den Auds regelmäßig erneuert wurden, jeweils von einem anderen Aud, der wiederum von wechselnden Geistlichen beaufsichtigt wurde.
    Das Schwert war viermal so groß wie ein Mensch und mit Juwelen besetzt. In dem farbigen Licht funkelte seine Spitze bedrohlich.
    Matthias hatte halb damit gerechnet, in der Mitte des Kreises etwas Ungewöhnliches vorzufinden, aber der polierte Boden glänzte wie immer fleckenlos. Trotzdem schien der Geruch stärker zu werden. Matthias fuhr sich mit den Fingern durch das lockige Haar, froh, sein Barett nicht aufgesetzt zu haben. Er war hierhergekommen, um den Roca anzuflehen, ihm seinen Glauben wiederzugeben, denn der mißglückte Angriff auf das Versteck der Fey hatte ihn erschüttert. Aber dieser Geruch verwirrte ihn so, daß er sein Vorhaben vergaß. Ein Mann konnte nicht mit seinem Gott sprechen, wenn die Sakristei nach Blut roch.
    Hinter dem Kreis säumten weitere Bänke den Gang, bis sie die Stufen erreichten, die zum Altar führten. Die geschnitzten Holzstühle neben dem Altar glänzten nicht wie gewöhnlich. Nach der morgendlichen Reinigung mußte jemand auf ihnen gesessen haben.
    Vielleicht einer der Ältesten. Matthias war nicht der einzige, der statt der kleinen Kapelle im ersten Stock die Sakristei aufsuchte, um zu
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