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Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang
Autoren: Paul Grote
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Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland zustimmte, hatte die deutsche Regierung unter Kanzler Adenauer 1956 seinerseits der Kanalisierung zugestimmt. Sauter hatte erzählt, dass lediglich Zeltingen zwei Schleusen besitze und in Fankel bei Cochem eine weitere gebaut werde. Bis alle Schleusen mit einer zweiten Kammer ausgerüstet seien, werde ein Jahrzehnt vergehen und liefen Kosten von vierhundert Millionen Euro auf.
    Sauter hatte gelacht, denn er schenkte staatlichen Finanzprognosen keinen Glauben: »Alles wird meiner Erfahrung nach mindestens doppelt oder dreimal so teuer.« Gegenwärtig aber fehlten auch die vierhundert Millionen, der Schleusenausbau ruhte vollends. »Wenn die Regierung gleich sagt, was es kostet, wird nichts mehr genehmigt. Deshalb wird vorher bewusst gelogen.«
    Georg versuchte, sich vorzustellen, wie die Mosel vor der Kanalisierung ausgesehen haben mochte. Im Winter soll Eisgang den Schiffsverkehr behindert, ja sogar unmöglich gemacht haben, im Sommer war das Wasser zu niedrig gewesen. Und Sauter hatte sich zusätzlich darüber mokiert, dass man das Hochwasser nicht in den Griff gekriegt hatte. »Wenn Sie durch die alten Teile der Moselorte laufen, dann achten Sie auf die Hochwassermarken. 1921 hat man beim Pegelstand von einem halben Meter zu Fuß durch die Mosel gehen können, 1993 reichte das Wasser mit zehn Meter bei vielen bis in den ersten Stock und darüber. Aber wir sind trocken geblieben, wir liegen zu hoch. Nur wenn es schüttet und das Wasser vom Berg kommt, dann wird es im Keller nass.«
    Sauter hatte auch von Nebel in jener Nacht gesprochen, als das Unglück passiert war. Konnte Nebel so dicht sein, dass man sich dem Wasser näherte, ohne es zu bemerken? Aber an dieser Stelle war der Winzer bestimmt nicht ins Wasser gestürzt, hier hatte die Strömung ihn angetrieben. Eine Gruppe älterer Wanderer mit Skistöcken kam ihm entgegen. Leute wie sie hatten den Toten entdeckt. Was für ein unvergessliches Ferienerlebnis.
    »Den Wagen des Mannes hat man in Bernkastel-Kues gefunden«, sagte ein Mann in Georgs Rücken. »Es ist anzunehmen, dass er dort ertrunken ist.«
    Georg wandte sich erschrocken um. Ein älterer Herr im offenen blauen, innen rot gefütterten Anorak und in weißen Sportschuhen stand hinter ihm, die Zeitung von heute in der Hand, stirnrunzelnd das Foto betrachtend. Georg nickte, er wusste nicht, ob er antworten sollte, er hatte keine Lust zum Reden, er wollte allein sein, mit sich und der Welt, den Fluss und die grünen Berge betrachten und den Wald am jenseitigen Ufer. Er hatte das Gefühl, dass jeder, den er hier traf, auf ihn einredete, ihn in ein Gespräch verwickelte, die Haushälterin, die Vertriebsassistentin und jetzt dieser Freizeitermittler.
    »Sie sind nicht von hier«, stellte der Mann mit bemerkenswerterBeobachtungsgabe fest, »aber wie ein typischer Tourist sehen Sie auch nicht aus.«
    Seine Augen tasteten Georg von oben bis unten ab, der indiskrete Blick war unangenehm, er selbst würde einen Fremden niemals so unverhohlen mustern. Bis vor Kurzem hatte er es getan, er hatte die Menschen, mit denen er zu tun gehabt hatte, aus beruflichem Interesse ziemlich genau betrachtet, jedoch nicht unverhohlen und, wie er im Nachhinein schmerzlich erfahren musste, bei Weitem nicht genau genug. Er hatte falsche Schlüsse gezogen und dafür die Konsequenzen zu tragen. Der Spaziergänger erwartete eine Antwort, aber Georg blieb stumm.
    »Tragisch, nicht wahr, dass jemand auf diese Weise stirbt, jemand, der hier am Fluss aufgewachsen ist? Eigentlich werden Wasserleichen immer erst bei Hochwasser angeschwemmt.«
    »Sie kannten den Toten auch?«, fragte Georg, nur um nicht unfreundlich zu wirken.
    »Wieso auch? Wer kannte ihn noch? Kennen Sie jemanden, der ihn auch kannte?« Der Fremde trat näher.
    Georg hielt ihn für einen Rentner, der den Morgenspaziergang nutzte, um den Fundort zu inspizieren. In dieser stillen Gegend geschah anscheinend nicht viel; da war eine Wasserleiche eine Sensation, ein Highlight in der Monotonie dieses ansonsten ruhigen Tals. Georg redete sich heraus, das mit dem »auch« habe er so nicht gemeint, nein, er sei nicht von hier. Er konnte doch nicht sagen, dass Sauter den Mann kannte und seinen möglicherweise üppigen Alkoholkonsum erwähnt hatte.
    »Man fragt sich in solchen Fällen stets, was dahintersteckt«, fuhr der Fremde fort. »Es kann sich um ein Verbrechen handeln, aber die Polizei schließt das aus, sie hat
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