Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödlicher Steilhang

Tödlicher Steilhang

Titel: Tödlicher Steilhang
Autoren: Paul Grote
Vom Netzwerk:
keinerlei Hinweise auf Gewalteinwirkung festgestellt, sagt sie zumindest in diesem Artikel.« Er hielt wie zum Beweis die Zeitung hoch.
    »Vielleicht ein Selbstmord«, wandte Georg ein. »Vielleicht war er schwer krank.«
    »Selbstmord? Albers? Niemals! Nicht der. Er war ein positiver Mensch, jemand wie er krempelte die Ärmel auf und packte mit an, er war streitbar. Und er war ein praktisch veranlagter Mensch, er hätte garantiert angenehmere und wirkungsvollere Methoden gefunden, sich umzubringen, nicht so drastisch. Aber Aufsehen hat er ganz gern erregt, für Aufsehen hat er gesorgt, mehr im positiven Sinn. Es ist schade um ihn, wirklich schade, ein Querkopf, sowohl im Gemeinderat wie als Winzer.«
    »Oder er hatte andere Probleme, eine verfahrene Situation, aus der man keinen Ausweg sieht, Depressionen?« Die letzten Worte waren seiner eigenen Situation geschuldet. »Immer mehr Menschen leiden darunter, ein Burnout, ausgebrannt, verbraucht …« Leer – wollte er gerade sagen, aber er scheute sich, die eigene Person mit dem Toten in Verbindung zu bringen, seine Person überhaupt mit irgendwem in Verbindung zu bringen. Mit dieser Sache hatte er nicht das Geringste zu schaffen.
    »Überdruss«, hörte er sich sagen, ohne es zu wollen, fühlte den durchdringenden Blick des Fremden auf sich gerichtet und wandte sich ab. Er fürchtete, dass man ihm den eigenen Überdruss ansah, er war bereits dieses Spaziergängers überdrüssig. War dieser Zeitgenosse jemand, der auf alle Fragen eine Antwort hatte oder meinte, eine zu bekommen? War er jemand, der Ratschläge erteilte, die niemand hören wollte? Georg hatte nicht das Bedürfnis, sich auszusprechen, er wusste auch gar nicht, worüber er hätte reden sollen. Womit anfangen? Es war zu viel.
    Der Fluss hingegen war ein Freund, er schwieg, sein Anblick war Georg genug, die weite Wasserfläche, milchig grün vielleicht von Algen, das saftig grüne Ufer jenseits der Schleusenkammern, die Wiesen auf der anderen Seite der Landstraße, dahinter der dunkelgrüne Wald, der sich dieHöhe erobert hatte und wie ein ausgefranster Saum an den Himmel reichte. Dieser Anblick füllte seine Leere.
    Aber der Mann neben ihm zerredete den Augenblick.
    »Was muss passieren, damit man zum letzten Mittel greift, dass einem keine Aussicht auf Veränderung bleibt, dass man es vorzieht, nicht mehr zu sein, statt so zu sein, wie man momentan ist?« Der Fremde blieb hartnäckig beim Thema.
    Überdruss, dachte Georg, Überdruss ist der Grund. Hatte er das Wort laut wiederholt? Ging der Fremde deshalb darauf ein?
    »Albers gehörte nicht zu den Menschen, die bereits alles gemacht, erlebt oder gesehen hatten, für ihn gab es keinen Grund, des Lebens überdrüssig zu sein.«
    »Was wissen wir schon vom anderen?«, fragte Georg ärgerlich. »Nichts!« Der Fremde ging ihm immer stärker auf die Nerven. »Wer sagt uns die Wahrheit, wer kennt sie selbst, seine eigene Wahrheit? Es ist doch lediglich ein Abbild dessen, was man dafür hält, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten.«
    Er hatte schnell gesprochen, und sein barscher, abweisender Ton verschreckte den Fremden. Diese zufällige Begegnung, die er nicht gewünscht hatte und die ihm unangenehm war, musste schleunigst beendet werden. Da war der Blick hinauf in den Weinberg angenehmer. Er sollte sich mit dem Weinberg beschäftigen, weil der Wein ihn interessierte, weil Sauter ihn dafür interessiert oder begeistert hatte, deshalb war er hier.
    Und dieser Tote  – was ging er ihn an. Jeden Tag starben statistisch gesehen über zweitausend Menschen in Deutschland. Hoffentlich hatte Sauter nichts mit dem Tod dieses Winzers zu tun. Seine Reaktion auf die Meldung war recht ungewöhnlich gewesen, merkwürdig, als müsse er die Angelegenheit von sich fernhalten. Dabei lag er mit ihm im Streit und tat, als wären sie nicht miteinander bekannt. Georg würde sich damit befassen, er hoffte, ja, er brauchte die Sicherheit,dass Sauter nicht in irgendetwas verwickelt war. Etwas anderes könnte er in seinem Zustand nicht ertragen.
    Der Fremde war grußlos gegangen, beleidigt, er war nicht unfreundlich gewesen, nur geschwätzig, und es war Georg egal, ob er selbst grob oder ihm gegenüber gleichgültig gewesen war. Man würde sich nicht wiedersehen. Aber der Weinberg, die Zeltinger Sonnenuhr, würde bleiben, den Weinberg konnte er sogar aus seinem kleinen Fenster sehen.
    Die genaue Grenze, wo das Gebiet des einen Winzers begann und wo es aufhörte, war für ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher