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Das Versprechen der Kurtisane

Das Versprechen der Kurtisane

Titel: Das Versprechen der Kurtisane
Autoren: Cecilia Grant
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Prolog
    Juni 1815
    »Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht, ihn zu bewegen?« Der Feldscher stank nach Blut. Im dürftigen Schein der wenigen Kerzen, die dieser Abteilung des Lazaretts zugestanden worden waren, sah er aus wie ein zerklüfteter Felsen, voller Schatten und bis zu den Ellbogen mit dem Leben anderer Männer besudelt.
    »Von den Krankenträgern wollte ihn keiner mitnehmen. Ich habe stundenlang gewartet.« Nach einem Tag voll des Schreiens und Brüllens über Gewehrsalven, Kanonendonner und den Gefechtslärm zweier feindlicher Kavallerien hinweg war seine Stimme nur noch ein raues, wundes Krächzen.
    Hier in der Kirche war es einerlei, dass er nicht lauter sprechen konnte. Jedenfalls war das Gebäude eine Kirche gewesen, bevor es zu diesem grausigen Dienst einberufen worden war, und vermutlich würde es wieder eine Kirche werden, wenn all diese Männer endlich nach Brüssel gebracht worden waren. Oder Brügge. In ein richtiges Krankenhaus, mit richtigen Betten statt der schmalen Bänke und des kalten Steinfußbodens. Jedenfalls sollte man sich hier demütig verhalten.
    »Die befolgen nur ihre Befehle.« Der Arzt kniete sich neben die Bank, auf der Talbot lag, und tastete dessen leblose Glieder ab. Nicht ganz leblos; tot war er noch nicht. Seine Brust hob und senkte sich in einem stockenden Rhythmus, der kaum noch an Atemzüge erinnerte. »Offiziere zuerst, dann die Männer, die die größten Chancen haben. Damit haben wir, weiß Gott, schon genug zu tun. Wir können uns nicht auch noch mit den hoffnungslosen Fällen aufhalten.«
    So etwas sollte ein Arzt in Hörweite des Patienten eigentlich nicht sagen. Will hob zu einer entsprechenden Bemerkung an, schluckte sie dann aber hinunter. Es gab jetzt Wichtigeres als das Benehmen des Mannes. Zum Beispiel den Zustand von Talbots Armen und Beinen. Trotz seiner Verletzungen hatte er auf dem Feld noch Finger und Zehen bewegen können. Vielleicht war es wirklich ein Fehler gewesen, ihn herzubringen.
    Nein,
mit Sicherheit
war es ein Fehler gewesen. Doch wegen der Erschöpfung, die ihm in den letzten drei Tagen wie ein torkelndes Ungeheuer schleppend, doch unaufhaltsam immer näher gekommen war, hatte er nicht mehr klar denken können.
    Darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen. »Jedenfalls ist er jetzt hier.« Unwillkürlich übernahm er das Kommando, wie er es inzwischen gewöhnt war. Das Nebensächliche beiseiteschieben, den Weg freiräumen und dem Mann eine Aufgabe zuteilen. »Ich will Sie nicht aufhalten, ich bitte Sie lediglich, ihn sich anzusehen und für ihn zu tun, was Sie können.«
    »Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?« Der Feldscher hockte sich auf die Fersen, das Gesicht im Schatten. »Er ist an der Wirbelsäule verletzt. Er kann seine Beine nicht mehr bewegen, nicht einmal spüren. Wir können nichts für ihn tun.«
    Will schluckte. Es fühlte sich an, als hätte er Schrot im Hals. »Wie können Sie so sicher sein? Sie haben ihn sich kaum angesehen. Bei dem Licht können Sie doch kaum etwas sehen. Vielleicht ist er einfach nur erschöpft, oder es liegt an den Schmerzen.« Benebelt und müde, wie er war, hörte er dennoch, wie unsinnig und verzweifelt seine Worte klangen. Er biss sich auf die Lippen und trat einen Schritt zurück.
    Er stieß gegen etwas. Gegen jemanden. Einen Fußsoldaten, der nicht das Glück gehabt hatte, von einem Leutnant auf eine der Bänke gelegt zu werden. Gekrümmt lag er auf dem Steinboden und starrte Will einen Augenblick lang aus weit aufgerissenen Augen ungläubig an, bevor er den Blick wieder in die Dunkelheit über sich richtete.
    Er gab keinen Laut von sich. Andere schon. Laute, wie man sie nach einem Gefecht hörte, verstärkt durch die große Zahl der Verwundeten auf engstem Raum, durch das Echo, das von den Steinwänden widerhallte, und durch die entsetzliche Ironie der Kulisse.
    Will atmete langsam ein und wieder aus. Vor zwei Tagen hatte er an der Kreuzung von Quatre Bras gekniet und hektisch versucht, seine Muskete neu zu laden – Pulver, Kugel, Papier,
schnell!
–, während die Kürassiere in ihren schrecklichen glänzenden Brustpanzern angriffen, und er hatte gedacht:
Jetzt weiß ich, wie es in der Hölle sein wird
. Etwa dreißig Stunden später hatte er diesen Gedanken revidiert: Die Hölle war eine schlaflose Nacht im eiskalten Regen, wenn man die eine Schlacht hinter sich und eine weitere vor sich hatte und in völlig durchweichter Uniform irgendeinem verängstigten jungen Mann die Hand
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