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Toedlicher Blick

Titel: Toedlicher Blick
Autoren: John Sandford
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Lucas gewusst hatte, wer Qatars Entführer war … Dennoch überlegte er, ob er nicht doch Unterstützung anfordern sollte, und griff nach dem Handy in der Jackentasche. Die Tasche war leer. Das Handy stand in dem Ladegerät auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer.
    Diese Option hatte sich von selbst erledigt.
    Er griff zur Hüfte. Die 45er war da: Er hatte sie automatisch eingesteckt. Aber wozu?
    Drei Leute wussten von der Sache – Weather, er und Marshall. Del würde es herausfinden, wenn er sich die Mühe machte, darüber nachzudenken. Einen Beweis würde es nicht geben; Marshall hatte bestimmt alles sehr vorsichtig eingefädelt. Was aber sollte Lucas tun, wenn er zu spät kam und Qatar bereits tot war? Alles einfach weiterlaufen lassen, wie Marshall es geplant hatte?
    Er musste sich beeilen …
    Er raste durch die Vorstädte, über rote Ampeln hinweg und an hastig ausweichenden Fahrzeugen vorbei, stets die Straßenränder weit voraus auf Bewegungen absuchend: Wenn er bei dieser Geschwindigkeit gegen einen anderen Wagen prallte, würde der Porsche nur noch ein kompaktes Stück Schrott sein, und wenn er einen Fußgänger auf die Hörner nahm, würde dieser in Sekundenschnelle zu Fleischextrakt zermalmt werden …
    Und während der ganzen Zeit arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren – stellte Fragen, suchte Antworten, wägte Möglichkeiten ab: Er hatte weder Weather noch irgendjemand sonst von dem Laptop erzählt. Wenn er ihn mitgenommen und dem Staatsanwalt präsentiert hätte, wäre die Freilassung auf Kaution widerrufen und Qatar wegen der neuen Aronson-Beweislage erneut verhaftet worden. Und Marshalls Vorhaben wäre gescheitert …
    Wie aber hätte es dann um die Gerechtigkeit gestanden? Nach zehn oder fünfzehn Jahren im Knast oder in einer psychiatrischen Klinik würde Qatar wieder auf die Menschheit losgelassen und könnte eine neue Mordserie beginnen, dann natürlich noch vorsichtiger als diesmal. Manche dieser Killer, manche dieser Qatars, hörten
nie
auf, Morde zu begehen … Lucas war sich keinesfalls sicher, welcher Bewertung er den Vorzug geben sollte. Wenn Weather nicht gewesen wäre, hätte er Marshall wahrscheinlich gewähren lassen und hätte nicht versucht einzugreifen …
    Als er die Highway-Kreuzung nördlich von Pine Creek erreichte, war es bereits hell genug, die Abfahrt zu erkennen. Er bog ein, gab dann wieder Vollgas, erreichte kurz darauf den Feldweg zum Friedhofhügel. In wenigen Minuten war es so weit. Fast normales Tageslicht inzwischen … Der Parkplatz am Fuß des Hügels tauchte vor ihm auf, und darauf stand …
    »Gottverdammt.« Marshalls roter Jeep Cherokee.
    Er hielt mit quietschenden Bremsen neben dem Cherokee an, sprang aus dem Porsche.
    Sah sich hastig um …
    Marshall und Qatar waren oben auf dem Hügel. Setzten ihren Weg nicht fort, blieben stehen und starrten zu ihm herunter. Qatar trug einen Schlafanzug, seine Füße waren nackt. Sein Mund war mit Klebeband verschlossen gewesen, wie Lucas sah: Mehrere Streifen hingen noch um seinen Hals, waren offensichtlich vom Mund abgerissen worden. Er zitterte heftig, vielleicht nur wegen der Kälte, vielleicht aber auch vor Angst.
    Marshall trug Jeans und eine braune Arbeitsjacke. Eine Hand hatte Qatars Pyjamajacke fest im Griff, in der anderen hielt er seinen schweren 357er Magnum-Revolver.
    Qatar schrie nach unten: »Helfen Sie mir, bitte! Er ist verrückt, er bringt mich um!« Seine Stimme klang schrill, und er streckte Lucas wie in einem Gebet die gefesselten Hände entgegen.
    »Verdammt, Terry«, rief Lucas. »Machen Sie keinen Unsinn, Mann!«
    Marshall rief zurück: »Ich hab’s befürchtet, dass Sie hier auftauchen. Aber ich habe nicht gedacht, dass Sie so schnell kämen. Zehn Minuten später, und alles wäre wie geplant gelaufen.«
    »Terry, wir haben ihn«, schrie Lucas und setzte sich in Bewegung, den Hang hinauf. »Ich habe seinen Laptop gefunden. Er hatte ihn unter der Deckenverkleidung im Uni-Gebäude versteckt. Der Hausmeister und ich haben ihn entdeckt. Es sind Fotos von den ermordeten Frauen darauf gespeichert, und es sind Fingerabdrücke darauf – wir können ihm alles nachweisen, Mann!«
    »Ein bisschen zu spät dafür«, rief Marshall. »Das hier ist auf jeden Fall besser. Löst die Probleme von zwei Leuten auf einmal: seine und meine.«
    »Erschießen Sie ihn!«, schrie Qatar Lucas entgegen. »Erschießen Sie ihn, um Gottes willen!«
    Marshall zerrte ihn ein paar Schritte weiter den Hang hinauf.
    »Terry, verdammt,
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