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Toedlicher Blick

Titel: Toedlicher Blick
Autoren: John Sandford
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fragte er: »Sie meinen, er hätt’ seine Kleidung vielleicht nicht verbrannt?«
    »Ich weiß es nicht. Wäre ja ziemlich riskant … Jemand hätte ihn im Heizungskeller sehen können.«
    »Ja, sicher, aber wenn man sich so gut da unten auskennt wie er, hätt’ er’s machen können. Es wär ein bisschen riskant, aber zum Teufel, wovon reden wir da? Sie glauben doch, er hätt’– wie viele genau? – ein Dutzend Frauen ermordet …«
    Im obersten Stock stiegen sie aus. An den Wänden des Korridors hinter der Aufzugtür waren zu beiden Seiten Glasvitrinen aufgereiht, in denen rekonstruierte Skelette von verschiedenen Lebewesen und ausgestopfte Tiere aller Art ausgestellt waren. Es handelte sich um dreißig bis vierzig Vitrinen, wie Lucas schätzte. Die Decke, ein Schachbrett aus dunkleren und helleren Holzplatten, war sehr niedrig.
    »Ursprünglich war das mal ein Lagerraum für Bücher und Vorräte aller Art«, sagte der Hausmeister. »Aber als man die woanders unterbrachte, hat man diese Vitrinen hier für die Kunststudenten aufgestellt. Sie sollen die Tiere zu Übungszwecken abzeichnen, und viele machen auch Gebrauch davon. Menschliche Skelette haben wir da hinten.«
    »Qatar könnte also …«
    »Ich zeige es Ihnen.« Zwischen den Vitrinen standen stabile Holzstühle. Er zog einen Stuhl nach vorne, stellte sich darauf und stieß eine der Holzplatten in der Decke nach oben. Sie ließ sich leicht bewegen. »Früher war da eine höhere Decke – viel höher, bis zum Dach –, aber es fiel immer wieder Dreck runter, und man kam mit dem Saubermachen nicht mehr nach, also hat man diese Zwischendecke eingezogen. Vor langer Zeit. Vielleicht in den Sechzigerjahren. Jedenfalls, alle Studenten wissen, dass man die Platten leicht hochdrücken kann. Innen ist eine Leiste, auf der die Platten aufliegen, und manchmal, wenn sie hier arbeiten, drücken die Studenten eine Platte nach oben und legen mitgebrachte Sachen, zum Beispiel was zum Essen, einfach da oben ab. Wegen der Trägerbalken innen kann man aber, wenn man mit einer Trittleiter hochsteigt und reinguckt, nur rund zwei Meter weit sehen, ob da was liegt. Man muss also jede einzelne Platte anheben, wenn man was sucht.«
    »Okay …« Lucas sah den Flur hinunter. Es gab ungefähr hundert Platten auf jeder Seite: Er würde den Rest des Nachmittags mit der Suche verbringen müssen und wahrscheinlich doch nichts finden. Andererseits …
    »Sie wollen nachsehen? Ich helfe Ihnen gern dabei.«
    »Nein, gehen Sie zurück an Ihre Arbeit«, sagte Lucas. »Ich werde nur mal ein paar Stichproben machen.«
    »Sind Sie sicher? Ich helfe Ihnen wirklich gern.«
    »Nein, nein. Ich mache das erst mal alleine.«
    Lucas wartete, bis der Mann im Aufzug verschwunden war, dann zog er einen Stuhl heran und begann, in der Stille des langen Flurs Holzplatten hochzustemmen. Er fand schnell heraus, dass er, wenn er den Stuhl unter eine Platte stellte, diese sowie die beiden anschließenden hochdrücken und so in einem Arbeitsgang den Hohlraum über drei Paneelen untersuchen konnte. Er begann links vom Aufzug, und nach zwanzig Minuten hatte er nichts gefunden als ein altes Mittagessen – ein sehr altes, vielleicht bereits vor einem Jahrzehnt hier deponiert …
    Statt auf der anderen Seite des Flurs weiterzumachen, schleppte er den Stuhl zum Fahrstuhl und arbeitete sich in die andere Richtung vor. Gleich bei der zweiten Platte stieß er auf einen gefüllten Plastiksack. Qatar hatte ja aber eine Lebensmitteltüte getragen …
    Er nahm seine Autohandschuhe aus der Jackentasche und zog sie an. Dann zerrte er an dem Plastiksack. Der Inhalt war schwer und eckig … Er hob den Sack vorsichtig heraus und öffnete ihn ein Stück.
    Ein Laptop; nicht das, was er erwartet hatte. Er stieg vom Stuhl, setzte sich darauf und öffnete den Deckel des Laptops; fand den Einschaltknopf, drückte ihn. Eine grüne Lampe leuchtete sofort auf: noch Saft im Akku. Das Gerät eines Studenten? Windows wurde geladen, dann erschienen die Icons an der linken Seite des Screens. Ungefähr in der Mitte entdeckte er das Icon für das Bildbearbeitungsprogramm
Photoshop –
ein Auge in einem Quadrat.
    »Verdammter Hurensohn«, murmelte er vor sich hin. Er klickte Photoshop an, fand eine Datei mit der Bezeichnung »B1«, öffnete sie. Das Bild einer Frau, nur als Skizze, reduziert auf feine Striche … Er manövrierte es, mit den Photoshop-Prozeduren nicht vertraut, unbeholfen über den Screen, vergrößerte es, erkannte schließlich
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