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DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)

DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)

Titel: DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
Autoren: Tim Curran
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1
    Drei Tage schon.
    Drei Tage in diesem stinkenden Käfig aus Nebel.
    Einem Nebel wie übler Dunst aus dem Rachen einer Leiche.
    Nur Styles in seiner kleinen Jolle, ganz allein. Nicht länger Mensch, nicht so richtig, nur noch etwas, das still und wächsern abwartete; winzig und auf seinen Kern reduziert, zerquetscht und weggeworfen, abblätternd und zerfallend, in der Auflösung begriffen. Und ja: etwas, das sich fürchtete, in den Nebel zu schauen, das sich fürchtete zu lauschen, denn wenn man lauschte, dann hörte man Geräusche. Grässliche, furchtbare Geräusche, die ...
    Aber Styles lauschte ja nicht, denn er war allein, und da gab es nichts im Nebel. Das durfte er nicht vergessen.
    So sah die Realität seines Schiffbruchs und des Exils auf dieser tot geborenen See aus: kein Essen, kein Wasser und auch keine Hoffnung darauf. Nur diese schweigende, windstille See und der Nebel. Sein Hals war geschwollen und rot vom Schreien, vom Schreien um Hilfe und dem Wissen, dass keine kam.
    Ja, Styles fühlte sich so allein wie ein Mensch auf dem Mars oder einer, der kreischend in die schwarzen Abgründe jenseits des Universums gestürzt war. Und er hatte Angst. Bleierne, lähmende Angst. Ganz allein, begleitet nur vom silbernen Kruzifix seiner Mutter am Hals. Lang ausgestreckt lag er in der Jolle und horchte auf den Laut von Segeln oder Rudern oder einer Schiffsglocke, aber nie hörte er etwas.
    Nie etwas anderes als den Nebel.
    Denn wenn es nichts anderes gab, dem man lauschen konnte, als das papierene Rascheln des eigenen Herzens und das Kratzen der Luft in der Lunge, dann fing man an, in den Nebel hineinzulauschen. Und bald genug erkannte man, dass der Nebel nicht tot war, nicht richtig tot, sondern ein lebender, sich teilender Fluss aus organischem Material. Und wenn man sehr genau hinhörte, konnte man das Blut durch seine Adern rauschen hören. Das Summen der Nervenenden, ein fernes Brausen wie Atem. Dann konnte man den Nebel atmen hören.
    Ja, den Nebel und immer nur den Nebel.
    Ein gieriger, grauer Dunst, der nach verrottetem Seetang und toten Dingen am Strand roch, der sich bewegte und wandelte, sich aufdrängte. Ein schimmeliger, feuchter Schleier, der zu gleichen Teilen aus Fäulnisgas, Ektoplasma und verdunstetem Schleim zu bestehen schien. Dick und begehrlich, erdrückend und erstickend.
    Am ersten Tag staunte Styles noch über seine Konturen und seine Dichte. Am zweiten Tag hasste er die Fülle, die Undurchdringlichkeit, die Art und Weise, wie seine Fühler über die Jolle strichen und ihn betasteten. Und am dritten Tag? Am dritten Tag hatte er nur noch Angst davor. Denn er hörte Geräusche im Nebel. Die Laute maritimer Albträume, die in ihm zu Hause waren. Kreaturen, die nur darauf lauerten, dass er über Bord fiel, Untiere mit gelben Augen und Tentakeln und Sägezähnen. Bestien und Monster.
    Und er sagte sich immer wieder: Denk nicht drüber nach, denk nicht an solche Sachen, denn sie existieren nur in deinem Kopf – alles pure Fantasie.
    Ein vernünftiger Gedanke, aber er funktionierte nicht, denn er war allein, nur sein eigener Verstand leistete ihm Gesellschaft, und der spielte ihm gerne Streiche. Üble Streiche. Er erzählte ihm, dass es keine Rolle spiele, ob er an diese Kreaturen dachte, denn sie dachten an ihn. Das war natürlich Unsinn, aber dann verfinsterte sich sein Geist und fragte, ob er sie denn dort draußen nicht fühlen konnte, diese schwarzen, wahnsinnigen Schrecken im Nebel, wie sie an ihn dachten und sich auf ihn konzentrierten. Er musste zugeben: ja, Gott, ja, er konnte. Er konnte sie wirklich fühlen. Und zwar von dem Moment an, als das Schiff gesunken und er zitternd und benommen in die Jolle geklettert war.
    Aber was?
    Was konnte denn dort draußen sein?
    Er wusste es nicht, er wusste nur, dass sie sich dort befanden. Unaussprechliches, das im Nebel schmolz und sickerte, kriechende, grinsende Abscheulichkeiten mit hohlen Monden anstelle von Augen, verseuchte und verpestete Dinge mit Knochengruben statt Seelen. Wesen, deren Atem nach Friedhof und Gruft stank, Wesen mit Saugmäulern, die seine Luft, sein Blut und seinen Verstand absaugen wollten. Wesen, die mit gekrümmten, fleischlosen Fingern nach ihm griffen.
    Schalt deinen Geist aus, schalt ihn ganz aus, denn sonst hören sie dich denken, und wenn sie dich denken hören, werden sie dich finden.
    Styles konzentrierte sich, reduzierte seine Gedanken auf einen winzigen Lichtpunkt, schwach und substanzlos. Sein Geist zog sich in
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