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Tod von Sweet Mister

Tod von Sweet Mister

Titel: Tod von Sweet Mister
Autoren: D Woodrell
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zu dem blinzelnden Fenster hinauf und schätzte die Distanz ab.
    »Das könnten, ähm, zwölf Meter sein. Ich glaube, das ist zu hoch, um herunterzufallen und einfach davonzuspazieren.«
    Die Pranke löste sich von meiner Schulter, wurde zur Faust und landete auf meinem Kopf.
    »Himmel, was bist du für eine Memme«, sagte Red. »Diese Hexe hat dich zu was ziemlich Nutzlosem erzogen.«
    In der Nacht war Vollmond. Die beiden teilten sich eine Flasche Gin, glaube ich. Sie drückten sie sich eine Weile gegenseitig in die Hand, tranken gluckernd und schmatzten mit den Lippen. Ihre Gesichter waren vom Mondlicht ganz bleich. Der Schlachthof war leer, der knöcheltiefe Dung stank zum Himmel. Wir standen um eines der schwingenden Gittertore herum, die zu den Pferchen führten. Moskitos bohrten sich in unsere weiche Haut, und das Geräusch klatschender Hände flog über die Futterkrippe in der einen Richtung und zum Dorfplatz in der anderen davon.
    Red blies mir seinen Gin-Atem ins Gesicht, seine Umrisse waren im Dunkeln nicht gut zu erkennen, aber ich konnte sehen, dass er mich anstarrte. »Und wenn was schiefläuft und sie deinen Hintern krallen, was dann?«
    »Ich bin nur ein Kind«, sagte ich mit Kinderstimme. »Ich bin nur ein Kind und mache Dummheiten, Officer. Es tut mir ja so leid.«
    »Und wenn du nicht gekrallt wirst?«
    »Dann fülle ich diesen Kissenbezug mit all den Medikamenten und dem Zeug, das ich finde.«
    »Kann auch flüssig sein, Shug«, sagte Basil. »Manche der besten Drogen sind flüssig.«
    »Weiß ich schon.«
    Basil Powney war Reds bester Kumpel. Beiden war gemein, dass sie leicht einen an der Waffel hatten. Sie hatten als Kinder miteinander gespielt, waren fast gleichzeitig in den Knast gekommen, nur einen Monat auseinander, weil ihre Fälle getrennt behandelt worden waren. Basil war ein großer schlanker Kerl, den man schnell mochte. Er war von Natur aus groß, und die Drogen hielten ihn schlank, nehme ich an. Sein Kopf passte nicht ganz zum Rest, war vielleicht eine Nummer zu klein für den schlaksigen Körper. Haare und Augen waren dunkel. Meistens trug er einen Bart, und seine Zähne waren immer strahlend weiß, so stolz war er auf sie. Wo die meisten in der Gesäßtasche einen Kamm stecken hatten, hatte er eine Zahnbürste. Jedes Mal, wenn man sich umdrehte, schrubbte er sich die Zähne, sogar dann, wenn er zu besoffen war, um noch zu stehen, oder gerade auf Drogen war und irgendwohin wollte. Er beschimpfte mich eigentlich nie und wurde auch nicht grob.
    »Und Waffen«, sagte Red. »Wenn der alte Doc noch irgendwelche Waffen hat, dann sind die auch willkommen.«
    »Ich werd ja sehen«, erwiderte ich. »Wenn ich es bis rauf schaffe.«
    »Du musst.«
    »Vielleicht schaffe ich es ja.«
    »Vielleicht verpasse ich dir einen Arschtritt, kapiert?«
    »Schon klar.«
    Lichter huschten durch die Nacht, Autos kamen um die Ecken und ließen ihre Scheinwerferstrahlen von der Leine, damit sie im Dunkeln grasen konnten. Zweimal sah ich knutschende Pärchen auf dem Platz. Ein Köter war nicht weit weg zu hören, wohl einsam angekettet oder ausgesperrt, er bellte heiser, wie verletzt, bellte und bellte, als wüsste er, wie ich mich fühlte.
    »Dann mal los, Red«, sagte Basil.
    »Ja.« Red packte und schüttelte mich. Er reichte mir einen Meißel. »Steck das in den Bezug und binde ihn dir an den Gürtel.«
    Bevor ich damit fertig war und der Knoten richtig saß, drängelte er schon: »Na, komm schon, Fettsack, auf geht’s – tu mal so, als seist du ein Affe, und flitz das Fallrohr rauf.«
    Das Rohr war rostig, die Farbe passte zu den sauren alten Ziegeln. Die Schicht auf dem Rohr war nicht glatt, sondern übersät mit Flecken trockener Schmiere, mit winzigen scharfen Kanten und Stellen, an denen man sich kratzte.
    »Was ist? Was hält dich denn jetzt schon wieder auf?«
    An der Hauskante hatten die Maurer eine Art Muster mit den Ziegeln gemacht, sodass alle paar Zentimeter ein Ziegel herausschaute, auf den ich meinen Fuß stellen konnte, um mich hochzudrücken. So erklomm ich das Fallrohr. Ziemlich schnell hatte ich eine Höhe erreicht, von der ich nicht mehr herunterfallen wollte, höchstens ins Wasser oder auf etwas Weiches, also machte ich weiter. Das Rohr gab beim Aufstieg Geräusche von sich, leise, knarzende Geräusche, wie sie alte Leute machen, wenn ihre Atemzüge zu flach werden und sie um Luft ringen, so ähnlich, und ab und zu klang es wie ein Brummen oder Schimpfen.
    »Los, Fettsack, los!«
    Ich
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