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Tod von Sweet Mister

Tod von Sweet Mister

Titel: Tod von Sweet Mister
Autoren: D Woodrell
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nicht. Wir müssen hier weg, da bin ich mir sicher. Wir können unter diesen Umständen nicht hierbleiben. Er hat gerade noch woanders angerufen, und diesmal hat er die richtige Antwort bekommen.«
    »Wohin also?«
    »Auf ein Schiff. Die Art von Schiff, die so groß ist wie eine Schule. So groß, dass du die Wellen kaum spürst. Morgens soll er Frühstück zubereiten, nachts als Barkeeper arbeiten. Auf einem Ozeandampfer.«
    »Und wann?«
    »Wenn er morgen seinen Gehaltsscheck kriegt, heißt es: Adieu, kleines altes West Table, hallo großes Meer.«
    »Das ist verdammt bald.«
    »Das Schiff fährt an einem bestimmten Tag ab. Es segelt von Miami nach Südamerika, nach irgendwo da unten. Das Schiff fährt runter und wieder rauf und hält unterwegs bei all diesen Urlaubsinseln.«
    »Das hört sich gut an. Klingt toll.«
    »Glaub ich auch. Ich bin mir sogar sicher. Aber du kannst nicht mit.«
    »Was?«
    »Du kannst nicht mit. So sind die Bestimmungen.«
    »Das kannst du doch nicht machen.«
    »Ich hätte beinahe auch nicht mitfahren können, aber Jimmy Vin hat behauptet, wir seien verheiratet und ich könne in der Kombüse helfen, wo auch er arbeitet. Aber es gibt keinen weiteren Platz mehr, Shug. Du wirst zu Granny ziehen müssen.«
    »Glenda? Glenda, du verlässt mich einfach so? Du gehst einfach und lässt mich allein?«
    »Nein. Nein. Hör mal – du kannst bei Granny einziehen.«
    Ich wollte vor anderen nicht meine Gefühle zeigen, vor niemandem, auch nicht vor Glenda.
    »Ist es wegen der Sache in der Küche? Wegen neulich in der Küche?«
    »Nun stell mich nicht als die Böse hin. Das bin ich nicht. Glaub das nicht. Aber ich muss jetzt packen, ich hab ’ne Menge zu tun.«
    »Es ist wegen der Sache in der Küche, richtig?«
    »Jetzt ist es aber genug! Genug jetzt, und kein Wort mehr.«
    »Alle anderen machen es doch auch, deshalb hab ich es gemacht.«
    »Das ist nicht der Grund. Du kannst einfach nicht mit. Kein Wort mehr.«
    Die Flasche, in der ich mein Leben lang all die Schreie verkorkt hatte, zerbarst. Die Schreie machten sich dort Luft, wo niemand sie hören konnte. Der Weg, auf dem ich ging, bestand nur aus sonnenverbrannter Erde, und bei jedem Schritt wirbelte Staub auf. Ich ging allein und spürte, wie die Schreie sich freimachten. Ich schrie wegen Ereignissen, die ich schon fast vergessen hatte. Ich schrie den sonnenverbrannten Weg entlang, vorbei an Zäunen und Kühen. Teile in mir, die ich nicht verstand, lösten sich und schnürten mir die Kehle zu. Die Kühe lagen da und lauschten meinen Schreien, als wüssten sie genau Bescheid. Sie sahen zu mir herüber, rührten sich aber nicht. Ich stieg zu ihnen über den Zaun und schrie sie an. Hinter ihnen lag ein trockenweißes, aufgesprungenes Bachbett zwischen Bänken mit sommerlichem Unkraut. Ich ging schreiend den Bach entlang. Er war trocken, aber er musste ja irgendwo hinführen. Ich schrie das harte, ausgetrocknete Bachbett hinunter, lief an Felsen vorbei und unter Bäumen her, bis ich wieder auf karges Land kam.
    Ich schrie, bis meine Kehle wund war und die Sonne unterging und verschwand.
    Dann ging ich im Dunkeln ohne jede Regung heim.
    Ich kletterte in die hinterste, dunkelste Ecke des Traktorschuppens, zwischen Spinnweben und Fledermauskot hindurch, und fand den Stiefel. Ich trug ihn wie einen Laib Brot unterm Arm und lief die Gehsteige entlang, vorbei an Stadtmenschen, die all die unwichtigen Dinge taten, die Menschen eben so taten. Ich ging an ihnen vorbei und fühlte mich wund und unerkannt.
    Ich klopfte laut an dem Haus an, wo Patty wohnte. Basil öffnete ohne Hemd und mit einer Bierdose in der Hand.
    »Was ist, Junge?«
    Es gab keine Flasche mehr für meine Schreie.
    Ich hob den Stiefel hoch und hielt ihn mit beiden Händen, sodass die Adlerschwingen gut zu erkennen waren, und Basil fing an zu weinen.

DEN GANZEN TAG LIESS ICH Glenda packen. Sie packte ihre Sachen in Pappkartons. Mir gefiel, wie ihre Hände die frischen, sauberen Sachen von der Leine zusammenlegten. Ich mochte, wie sie bei der Arbeit summte.
    »Aber nimm auch die Kleider mit, in denen er dich so hübsch findet. Wie eine Puppe.«
    Sie packte sechs Kartons mit Sachen, die sie unbedingt dabeihaben musste.
    Einmal sagte sie zu mir: »Wir werden in einem Jahr wieder zurück sein. Vielleicht früher.«
    Ich ließ sie packen.
    Als ihr das erste Mal auffiel, dass Jimmy Vin zu spät kam, meinte sie: »Ist ja noch Zeit. Er ist wahrscheinlich auf einen Abschiedsdrink mit den Leuten im Echo
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