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Tod von Sweet Mister

Tod von Sweet Mister

Titel: Tod von Sweet Mister
Autoren: D Woodrell
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ALS WIR DIE STAATSGRENZE überquert hatten, sagte Red, ich solle aussteigen und den Pick-up in eine andere Farbe umlackieren. Seine Stimme schien für mich immer voll von diesen Würmern zu sein, die einen fressen, wenn man tot ist. Seine Stimme wollte mich diesen wartenden Würmern vorstellen. Red konnte in einer ganzen Reihe von hässlichen Zwischentönen sprechen, und mir gegenüber setzte er sie meistens auch alle ein. Er donnerte von der schmalen Schotterpiste, fuhr den Pick-up einen überwucherten Abhang hinunter, auf einen Bach zu, der dort vor sich hin plätscherte, und hielt im Schatten von ein paar Bäumen an. Glenda, also meine Ma, kippte zwischen ihm und mir in der Kabine hin und her, sie roch nach »Tee«, wie sie ihre Rum-Cola nannte, nach dem Schweiß von letzter Nacht und dem Parfüm vom Morgen. Ihr Kopf ruhte meist ganz leicht auf meiner Schulter, und ihr Atem stieg mir in die Nase. Das Wetter hatte so oft umgeschlagen, bis es wieder gut war, zu gut, um lange anzuhalten, hatte Knospen zum Aufplatzen gebracht, und Wildblumen ragten groß und prahlend aus dem Unkraut; außerdem brachte es Vogelgesang und Hummeln und all den anderen Frühlingsscheiß hervor. Die Bäume, unter denen wir standen, versperrten all den braven Bürgern die Sicht, die auf der Schotterstraße vorbeikamen und vielleicht hätten neugierig werden können. Bei dem, was wir machten, war es meist nötig, nicht gesehen zu werden. Red hatte unten in Arkansas in einem weißen Laster ziemlich was angestellt und wollte deshalb daheim in Missouri lieber einen blauen fahren.
    »Also, schwing deinen fetten Hintern raus, Junge, und fang an, die Fenster mit Zeitungen zu verhängen. Ich hab dir ja gezeigt, wie.«
    »Und ich hab’s verstanden, als du es mir gezeigt hast.«
    »Also? Setz deinen Schwabbel in Bewegung, steig aus und leg los.«
    Glenda hörte ihm mit geschlossenen Augen zu, den Kopf auf meiner Schulter. Ihre blasse rechte Hand, elegant und flink, kniff wie eine Wäscheklammer in das Bauchfleisch an meinem Äquator und drückte fest zu, ziemlich fest sogar, und der Schmerz erinnerte mich wortlos daran, ihrem Mann gegenüber standfest zu bleiben.
    »Mach ihn nicht so runter«, sagte sie.
    »Wie?« entgegnete er.
    »Shuggie ist nicht fett.«
    »Und ob, zum Teufel.«
    Glenda setzte sich aufrecht hin und verzog die Lippen, doch selbst mit verschlafenem Gesicht und nur ganz wenig Make-up sah sie umwerfend aus. Ihre Haare waren rabenschwarz, sie hatte sie nach hinten gekämmt und oben und an den Seiten buschig festgesprüht. Das war mal eine schöne, modische Frisur. Üblicherweise ließ sie die Haare einfach hängen. Glenda sah nie zu gewöhnlich aus oder zu herausgeputzt. Ihre Augen waren von diesem ungeheuer blauen Blau, das sie immer an alles heftete, was weit weg war, auf dem Wasser draußen oder ganz hoch oben.
    »Stämmig vielleicht«, sagte sie, »aber nicht …«
    »Ach, Blödsinn!« Red schob die Fahrertür quietschend auf. »Dein Junge ist ganz einfach fett.« Er schlug die Tür zu und streckte den Kopf durchs Fenster. Er sah sie an und sagte: »Was zum Teufel grinst du so?«
    »Ach, nichts, ich will nur keine Falten kriegen«, antwortete sie. »Ich habe beschlossen, zumindest glücklich auszusehen.« Wieder kniff sie mich und zwinkerte mir zu. Red machte kehrt, ging zur Ladefläche und warf Klebeband, Farben und Zeitungen heraus. »Ist noch etwas Tee in meiner Thermoskanne, Shug?«
    »Ja. Hab ich auf dem Parkplatz bei dem Café frisch gemixt.«
    »Gib sie mir, Baby. Ich höre einen Durst auf mich zutrampeln, dem stell ich mich besser in den Weg.«
    Ich gab ihr den Tee, dann stieg ich aus und schnappte mir die Zeitungen und das Klebeband. Ich nahm die Zeitungen, breitete sie über der Windschutzscheibe und den Seitenfenstern aus und benutzte die Zähne, um das Klebeband abzureißen. Es klang, als würde jemand niesen.
    Red stand ein paar Schritte von mir entfernt am größten Busch, begoss ihn prächtig und sang einen der alten Songs, die in jenem Jahr immer mal wieder im Radio liefen, obwohl die Melodien schon seit Jahren abgenudelt waren; eine dieser alten, reimenden Rock-’n’-Roll-Nummern wie »Ready Teddy« oder »Tutti Frutti« oder »Good Golly, Miss Molly«, an die er nun mal sein Herz gehängt hatte, wie ich annahm. Keine Ahnung, warum ihm nach Singen zumute war. Diese Fahrt nach Hot Springs war einer der vielen, vielen Versuche von Glenda und ihm, alles wieder zu kitten und sich wie ein gutes Ehepaar zu verhalten,
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