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Tod von Sweet Mister

Tod von Sweet Mister

Titel: Tod von Sweet Mister
Autoren: D Woodrell
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vertreten. Als ich klein war, sagte sie immer, wenn sie mich zu Bett brachte: »Die sind alle begraben, Schätzchen, und sie hassen dich nicht.« Von jedem Fenster aus hatten wir einen Blick auf die Grabsteine, auch von dem Fenster an meinem Bett. Ich glaube, all die Morgen- und Abenddämmerungen, die ich damit verbrachte, aus diesem Fenster zu starren, haben mich noch mehr zu einem einsamen Nichtsnutz werden lassen. Auf dem Friedhof wuchsen Bäume, große mächtige Eichen und Säulenkiefern, außerdem hüpften Eichhörnchen frei auf dem Gelände herum, aber es waren diese Reihen von Grabsteinen, die einen starken, lang anhaltenden Eindruck hinterließen. Und wenn man genau hinschaute, dann sah man die Toten, die alten Toten, die frischen und die dazwischen.
    Die Toten von West Table waren seit über hundert Jahren auf diesem Friedhof begraben worden, seit den Zeiten, als Namen wie Zebediah, Aquilla, Verity und Permelia in den Ozarks weit verbreitet waren; Glenda war irgendwie an den Friedhofsjob gekommen, der uns ein Haus zwischen all den Toten und ihren strengen alten Namen einbrachte. Eigentlich sollte das ihr Job sein, aber kaum war ich groß genug, machten wir die Arbeit gemeinsam, sie und ich. Ganz früher war Red manchmal aufgetaucht und hatte geholfen, aber nicht mehr, seit ich alt genug war, um zu mähen. Zu dem Job gehörte ein Rasentraktor, den Glenda nicht mal anwerfen konnte. »Blödes altes Ding!« sagte sie dann. Also setzte ich mich für gewöhnlich drauf, startete ihn, und immer wieder war sie überrascht davon, machte »Hah!« und sah mir beim Fahren zu. Mit dem Traktor mähte ich das Gras rings um den Friedhof und zwischen den Reihen, doch die Abstände zwischen den Steinen waren zu schmal, da musste ich einen normalen Rasenmäher nehmen.
    Unser Haus sah so aus, als hätte es ein wild herumfuchtelndes Kind mit Riesenwachsmalkreiden angemalt, mit Spaß an knalligen Farben, aber wenig Geduld. Dieses Kind war ich, und ich hatte alle Farben genommen, die wir im Schuppen hatten. Meist waren es mehrere Streifen Weiß, dazu ein wenig Gelb, Blau und Rot. Glenda bemalte vielleicht noch eine untere Ecke oder ein Fensterbrett, bevor ihr Tee wirkte; dann holte sie sich einen Küchenstuhl, setzte sich in den Schatten und sprach über Kleider, die sie mal besessen hatte und gern wieder gehabt hätte, Pullover, Stolen und seidene Sachen, oder über Orte, zu denen sie früher zum Essen eingeladen worden war und zu denen sie mich hoffentlich eines Tages einmal mitnehmen würde, irgendwelche schicken Lokale mit Stofftischdecken in Kentucky und Miami und Cleveland.
    Red war entweder da oder nicht, und er sagte ziemlich deutlich, dass uns das verdammt noch mal nichts anging. Er war andauernd mit seinen Gaunerkumpels unterwegs und drehte kleine Dinger und ab und zu auch nicht so kleine. War er zu Hause, dann nie länger als drei oder vier Tage, und war er weg, dann manchmal für zwei oder drei Wochen. Er blieb immer so lange fort, bis ich mir schon Hoffnungen machte und mir das Herz leichter wurde, doch dann hörte ich stets irgendeinen Schrotthaufen die Einfahrt hinaufrollen, den er gerade fuhr, und war wieder ganz unten.

DAS ERSTE HAUS , in das ich für Red einbrach, war ein großer, hoher Ziegelbau, und der einzige Weg, die Wand hinaufzukommen, war, das Fallrohr hochzuklettern. Red ließ eine Pranke auf meine Schulter fallen und zeigte mit der anderen an der Mauer entlang zu dem Fenster, zu dem er mich hinaufschickte. Die Jalousie war halb heruntergezogen, und das Fenster blinzelte gelb. Es lag an einer Ecke im zweiten Stock des gedrungenen, mürrischen alten Hauses, dessen Ziegel jene ausgewaschene Farbe hatten, die so viele vergehende Jahre mit sich bringen. Das Haus war drei Stockwerke hoch, stand allein neben dem Schlachthof und lud fast dazu ein, ausgeraubt zu werden.
    »Ich bin ein bisschen zu kräftig, um das Fallrohr da raufzuklettern.«
    »Das wird schon halten.«
    »Sind schon ganz andere Sachen unter mir zusammengebrochen.«
    »Wird halten«, sagte Red. »Und wenn nicht, dann werden Basil und ich aufpassen und dich auffangen, oder, Bas?«
    »Genau. Wir rufen dann einfach ›Ich krieg ihn! Ich krieg ihn!‹, damit wir uns nicht übern Haufen rennen und dich verpassen.«
    Reds Pranke bohrte mir die Fingernägel in die Haut.
    »Das Fallrohr hält schon ein ganzes Jahrhundert, Fettsack, und du bist nicht so besonders, als dass es wegen dir zusammenbrechen müsste. Also, hör auf mit dem Gejammer.«
    Ich sah
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