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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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kluges Kindchen.« Sie langte nach einem Haufen frischer Wäsche. »Ich verstehe einfach nicht«, fügte sie hinzu, »warum ein Kind mit deiner Intelligenz nicht lernen kann, die Windeln so zu halten, wie andere Kinder auch. Seit Jahrhunderten schon braucht man sie, und zwar mit vollkommen zufriedenstellenden Resultaten.«
    Das Kind verzichtete auf eine Antwort; zu oft hatte es dasselbe schon zu hören bekommen. Es wartete geduldig, bis Maggie es, ein sauberes und duftendes Bündel, in das weißgestrichene Kinderbettchen gelegt hatte. Dann bedachte es seine Mutter mit einem Lächeln, bei dem Margaret jedesmal unwillkürlich an den ersten goldenen Sonnenstrahl, der in eine rosige Dämmerung bricht, denken mußte. Sie dachte an Hanks Reaktion auf die Farbbilder von seiner schönen Tochter, und wie sie das dachte, machte sie sich klar, wie spät es schon war.
    »Schlaf jetzt, Kindchen. Du weißt, wenn du aufwachst, ist dein Vati hier.«
    »Warum?« fragte sich der Verstand einer Vierjährigen und versuchte in einem aussichtslosen Kampf den zehn Monate alten Körper wach zu halten.
    Margaret ging in die Küche und stellte die Küchenuhr für den Braten. Sie prüfte kurz den Tisch und holte ihre Sachen aus dem Schrank; alles neu: Kleid, Schuhe, Unterrock. Gekauft vor Wochen schon und aufgespart für den Tag, an dem Hanks Telegramm käme. Sie hielt einen Augenblick lang inne, um die Zeitung aus dem Bildschirmtextgerät zu ziehen, ging dann mit ihren Kleidern und der Zeitung ins Badezimmer und senkte sich behutsam in den dampfenden Luxus eines Schaumbades.
    Ohne besonderes Interesse sah sie die Zeitung durch.
    Heute wenigstens brauchte sie die Inland-Nachrichten nicht zu lesen. Da war ein Artikel von einem Genetiker. Demselben. Mutationen, sagte er, wären überproportional im Ansteigen begriffen. Für rezessive Vererbung war es noch zu früh. Denn selbst die ersten Mutierten, die im Jahre 1946 und 1947 in der Nähe von Nagasaki und Hiroshima geboren wurden, waren zur Fortpflanzung noch zu jung. MEIN KIND ABER IST IN ORDNUNG. Anscheinend war es so, daß ein bestimmter Grad durch die Atomexplosionen freigesetzter Strahlung für das Ganze verantwortlich war. MEIN BABY IST GESUND, FRÜHREIF, ABER NORMAL. Wenn man den ersten Mutationen in Japan mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte, meinte er…
    DA WAR DOCH DIESE KLEINE ZEITUNGSNOTIZ, IM FRÜHJAHR ‘47. DAS WAR DAMALS, ALS HANK VON OAK RIDGE WEGGING. »Nur zwei bis drei Prozent derer, die des Kindesmordes schuldig sind, werden heute in Japan überführt und bestraft…« ABER MEIN KIND IST IN ORDNUNG!
    Sie war schon fertig angezogen und frisiert, wollte gerade noch ein wenig Rouge auflegen, als es an der Tür schellte. Sie flog zur Tür, und ehe die Glocke noch verhallt war, hörte sie, zum erstenmal seit achtzehn Monaten, das fast vergessene Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloß dreht.
    »Hank!«
    »Maggie!«
    Und dann wußte sie nicht, was sie sagen sollte. So viele Tage, so viele Monate, in denen sich kleine Neuigkeiten angesammelt hatten, so vieles, das sie ihm sagen wollte, und jetzt stand sie nur da und starrte die Khakiuniform an und das blasse Gesicht eines Fremden. Mit dem Finger der Erinnerung fuhr sie seine Züge nach. Dieselbe gebogene Nase, die weit auseinanderliegenden Augen, die feingezeichneten Brauen; das ausgeprägte Kinn, der Haaransatz, nun ein wenig weiter oben auf der hohen Stirn, dieselbe scharfe Falte zum Mund. Bleich… Natürlich, er war ja auch die ganze Zeit unter Tage gewesen. Und fremd – fremder noch als das Gesicht eines Unbekannten sein könnte, wegen der verlorenen Vertrautheit.
    Sie hatte Zeit, all dies zu bedenken, bevor er die Hand ausstreckte, um sie zu berühren, und die Kluft von achtzehn Monaten überbrückte. Jetzt, noch einmal, gab es nichts zu sagen, weil es nicht notwendig war. Sie waren beisammen, und das genügte für den Augenblick.
    »Wo ist die Kleine?«
    »Schläft. Sie muß gleich aufwachen.«
    Keine Eile. Ihre Stimmen waren so gelassen, als handele es sich um ein ganz alltägliches Gespräch, als ob Krieg und Trennung nicht existierten. Margaret hob den Mantel auf, den er auf einen Stuhl neben der Tür geworfen hatte, und hängte ihn in den Schrank in der Diele. Sie ging, um nach dem Braten zu schauen, und ließ ihn allein durch die Zimmer schlendern, um Erinnerungen aufzufrischen und wirklich heimzukommen. Sie fand ihn schließlich, wie er über das Kinderbettchen gebeugt stand.
    Sein Gesicht konnte sie nicht
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