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Titan 15

Titan 15

Titel: Titan 15
Autoren: Robert Silverberg , Wolfgang Jeschke
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frühen Morgenstunden hatte schon immer etwas besonders Erregendes für sie gehabt. Nachts hatte es geregnet, und die Fußwege waren noch immer feuchtgrau und nicht staubig, wie gewöhnlich. Die gelegentliche Beimischung von scharfriechendem Fabrikrauch ließ die Luft für einen Stadtmenschen wie sie um so frischer erscheinen. Zur Arbeit waren es nur sechs Häuserblocks, die sie zu Fuß ging. Dabei beobachtete sie, wie in den nachts geöffneten Hamburgerlokalen die Lichter erloschen und die Spiegelglaswände bereits das Sonnenlicht reflektierten und wie in den düsteren Zigarrenläden und Trockenreinigungen die Lichter angingen.
    Das Büro befand sich in einem der neuen Regierungsgebäude. Als sie auf dem Förderband nach oben fuhr, fühlte sie sich, wie immer, wie ein Brötchen auf einem dieser altmodischen Rotationstoaster. Dankbar verließ sie das Luftschaumkissen im vierzehnten Stock und ließ sich an ihrem Schreibtisch nieder, am Ende einer langen Reihe völlig gleicher Tische.
    Jeden Morgen war der Papierstoß, der sie erwartete, ein wenig höher. Wie jeder wußte, waren dies die entscheidenden Monate. Der Krieg konnte aufgrund dieser, als auch irgendwelcher anderer Berechnungen gewonnen oder verloren werden. Die Arbeitsvermittlungsstelle hatte sie hierher versetzt, als ihre alte Stelle im Expeditionskorps zu anstrengend für sie wurde. Der Computer war einfach zu bedienen, und die Arbeit nahm all ihre Aufmerksamkeit in Anspruch, wenn sie auch nicht so interessant war wie die alte. Aber man konnte nicht einfach mit der Arbeit aufhören in diesen Tagen. Jeder, der überhaupt etwas tun konnte, wurde gebraucht.
    UND – sie dachte an das Gespräch mit dem Psychologen – ICH BIN WAHRSCHEINLICH NICHT BESONDERS STABIL. WAS FÜR EINE NEUROSE ICH WOHL KRIEGEN WÜRDE, WENN ICH DAHEIM RUMSITZEN UND DIESE SENSATIONSLÜSTERNE ZEITUNG LESEN WÜRDE…
    Ohne den Gedanken weiter zu verfolgen, stürzte sie sich in die Arbeit.
     
    18. Februar
    Hank, Liebling!
    Nur ein paar Zeilen – immerhin aus der Klinik. Mir ist bei der Arbeit schwach geworden, und der Doktor hat es sich zu Herzen genommen. Was soll ich bloß mit mir anfangen, wenn ich wochenlang nur im Bett liegen und warten muß –, doch Dr. Boyer glaubt offenbar, daß es nicht mehr so lange dauert.
    Hier liegen zu viele Zeitungen herum. Ständig neue Fälle von Kindsmord, und kein Gericht scheint je einen nachweisen zu können. Es sind übrigens die Väter, die das machen. Du bist ja zum Glück nicht da, für den Fall…
    Ach Schatz, das war kein sehr guter Witz, nicht? Schreib doch bitte soviel Du nur irgend kannst. Ich habe hier zuviel Zeit zum Nachdenken. Aber eigentlich ist ja alles in Ordnung, und es besteht kein Grund zur Sorge.
    Schreib mir oft und vergiß nicht, daß ich Dich liebe,
    Deine Maggie
     
    FRONTTELEGRAMM
    21. Februar 1953
    22:04 Lk37G
    Absender: Tech. Lt. H. Marvell
    X47-016 GCNY
    An: Mrs. H. Marvell
    Frauenklinik
    New York City
    DOKTORS TELEGRAMM ERHALTEN STOP KOMME VIER UHR ZEHN STOP KURZURLAUB STOP MAGGIE DU HASTS GESCHAFFT STOP DEIN HANK
     
    25. Februar
    Lieber Hank,
    Du hast das Baby also auch nicht zu sehen bekommen? An sich würde man doch erwarten, daß sie in so einer Klinik Sichtscheiben auf den Brutkästen haben, damit die Väter mal schauen können, wenn die armen umnebelten Mütter das schon nicht können. Es heißt, ich kann sie erst in einer Woche sehen oder vielleicht noch später – aber, natürlich, Mutter hat mich ja schon immer gewarnt, daß ich mein Tempo ein bißchen drosseln müßte, sonst würde ich sogar meine Babys zu schnell kriegen. Warum muß sie JEDESMAL recht haben?
    Hast Du diese Schreckschraube von Krankenschwester getroffen, die sie hier eingesetzt haben? Ich kann mir vorstellen, daß sie sie nur zu Frauen lassen, die ihres schon gekriegt haben, und sie nicht zu sehr in die Nähe der Zukünftigen kommen lassen. – Aber eine Frau wie sie sollte auf der Wöchnerinnenstation ganz einfach verboten werden. Sie ist von Mutationen geradezu besessen, scheint von nichts anderem reden zu können. Nun ja, UNSERES ist aber in Ordnung, selbst, wenn das Ganze ein bißchen fix gegangen ist.
    Ich bin müde. Sie haben gesagt, ich solle mich nicht zu bald aufsetzen, aber ich MUSSTE Dir einfach schreiben. Mit all meiner Liebe,
    Deine Maggie
     
    29. Februar
    Schatz,
    Ob ich sie nun endlich gesehen habe? Es stimmt genau, was man über neugeborene Babys sagt und das Gesicht, das nur eine Mutter lieben könne – aber es ist alles da,
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