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Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)

Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)

Titel: Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
Autoren: Alice Alderwood
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1.Kapitel: Eine Prinzessin kann nicht schlafen
     
    Ein milder Wind blähte die Vorhänge an den geöffneten Fenstern des Schlafgemaches der Königstochter, ganz so, als würden unsichtbare Nachtgeister Einlass begehren.
    Janica kniff die Augen ganz fest zu und versuchte gleichmäßig und tief zu atmen. Sie brauchte nicht lange zu warten, bis ihr das Rascheln des Strohsackes am Fußende ihres Bettes verriet, dass sich Gerun, ihre junge Leibzofe, wieder von ihrem Lager erhob. Zuerst hatte stets die Amme vor Janicas Bett genächtigt, dann die Kinderfrau, später die Gouvernante. Mittlerweile musste das Gerun, die Zofe Janicas, auf sich nehmen. Gerun, kaum einige Wochen älter als Janica, hielt nicht viel davon, jede Nacht auf einer schmalen Matratze auf dem Boden neben dem riesigen Himmelbett der Prinzessin zu verbringen. Vor allem nicht, seit sie ein weicheres Lager in der Kammer des Wachkommandanten entdeckt hatte.
    Tatsächlich mühte sich Gerun leise wie ein Kätzchen davonzuschleichen, das sich auf Mäusejagd begeben will, kaum dass Janica ein leises Schnarchen vortäuschte. Sie versuchte es jedenfalls. Das Stroh raschelte, die Leinbahnen von Geruns Röcken knisterten, dann stieß sie auch noch mit dem Fuß an das Nachtgeschirr. Die Prinzessin hatte Mühe, nicht laut aufzulachen, als sie durch die nur einen Spalt gehobenen Augenlider die junge Zofe mit gebeugtem Rücken zur Tür huschen sah. Die einzige Kerze, die das Zimmer nicht erhellte, sondern ihm nur einen weichen Dämmerschein verlieh, flackerte, als Gerun die Tür sachte aufdrückte, einen Blick zurück zum Bett der Prinzessin warf und hinausglitt in die Dunkelheit des Flures. Die Tür schloss sich wie von Geisterhand wieder und Janica war allein. Endlich.
    Rasch schlüpfte sie unter den Decken hervor und entzündete die Kerzen eines Leuchters an dem einsamen Nachtlicht. In dem riesigen Frisierspiegel vervielfachten sich die goldenen Flammen. Nachdenklich betrachtete Janica ihr Spiegelbild. Nicht übel, was sie da sah, auch wenn auf ihrer Nase ein paar Sommersprossen tanzten, die die Ebenmäßigkeit ihrer Gesichtszüge auf angenehme Weise störten. Sie löste das Band am Ausschnitt ihres Nachthemdes und ließ den dünnen Seidenstoff von ihren Schultern gleiten. Die Enden ihrer rotblonden Haarsträhnen kitzelten auf der nackten Haut, besonders dort, wo sich die straffen Hügel ihres Busens wölbten. Janica zupfte an den dunklen Spitzen ihrer Brüste und betrachte im Spiegel interessiert das Ergebnis: Die Warzen zogen sich zusammen, wurden hart und sahen irgendwie schrumpelig aus. Janica kicherte leise, griff zur Bürste und begann, mit mechanischen Bewegungen die widerborstigen Locken zu zähmen.
     
    Es war keine Nacht, die man einfach so verschlafen konnte. Es war die Nacht des Frühlingsvollmondes. Morgen bei Sonnenuntergang würde der schreckliche Drache auf der Ebene vor den Himmelsbergen landen und seinen jährlichen Tribut vom Westlichen Königreich fordern. Natürlich die übliche mannbare Jungfrau. Wäre ja auch blöde, wenn sich das Vieh an einem zähen alten Mann die Zähne ausbeißen würde. Offenbar waren nur Jungfrauen zart genug für den Feinschmecker unter allen Ungeheuern dieser Welt. Morgen gegen Mittag würde sich draußen auf dem großen Hof vor dem Königspalast wieder die Lostrommel drehen, in die alle Mädchen des Reiches, die zwar ihre Kindheit hinter sich gelassen, aber noch bei keinem Mann gelegen hatten, ihre Loshülse einwerfen mussten. Auch Gerun. Das kleine hölzerne Behältnis, das einen Pergamentschnipsel mit dem Namen der Zofe enthielt, lag auf dem Frisiertisch zwischen Janicas Kämmen und Duftwässerchen. 
    Nachdenklich nahm die Prinzessin die Hülse in die Hand. Vor vielen Jahren, vier oder fünf Generationen vor der Zeit des jetzigen Herrschers, war der Drache über das Westliche Reich gekommen. Mit seinem Flammenatem hatte er die Felder und Dörfer verwüstet, mit seinen grässlichen Krallen hatte er das Vieh gerissen, bis man ihm das jährliche Opfer versprach. Was würde das geflügelte Monster tun, wenn ausgerechnet Geruns Namen ausgelost wurde? Gerun schlich sich nicht jede Nacht zu dem Zweck in den Wachturm, um mit dem Kommandanten draußen auf dem Wehrgang die Sterne zu beobachten oder philosophische Gespräche zu führen. Janica hatte zwar keine genaue Vorstellung davon, was Männer mit jungen Mädchen anstellten, damit sie zu Frauen wurden, solcherlei Wissen gehörte nicht zum Ausbildungsprogramm von
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