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Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)

Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)

Titel: Drachenspeise: 1 (Ein Märchen für große Mädchen) (German Edition)
Autoren: Alice Alderwood
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seine knubbeligen Finger auf Janicas Kopf, wobei er sich auf die Zehenspitzen stellen musste. Die Prinzessin rümpfte die Nase. Von dem Mann ging ein säuerlicher Geruch aus.
    »Die Götter segnen deinen Mut!« Er trat zurück, denn die Matronen machten sich mit Kamm und Bürste bewaffnet am Haar der jungen Frau zu schaffen. Janica atmete auf.
    »Das Volk wird sich deiner ewig erinnern, es wird Lieder von dir singen, an deinem Todestag wird man Blumen in die Flüsse werfen und Räucherwerk entzünden ...«
    »Ach, hör' doch auf!«, unterbrach Janica den Redefluss des Priesters. »Ich habe in der Bibliothek nachgesehen, ich bin genau das einhundertdreiundsechzigste Drachenopfer. Noch nie habe ich irgendein Lied über eine der jungen Frauen gehört. Der Drachen frisst sie und fertig. Am nächsten Tag ist alles vergessen. Warum sollte es bei mir anders sein?«
    Das feiste Gesicht des Priesters lief rot an. »Du, liebe Tochter, bist ein besonderes Opfer, ein Opfer von höchstem Blut! Dass die Götter dies zulassen, zeugt von ihrer Liebe zu diesem Königreich ...«
    »Oder von ihrer Wesensverwandtschaft zu dem Drachen!« Janicas musste ein Grinsen unterdrücken. Endlich konnte sie dem Robenträger einmal die Meinung sagen! Konsequenzen waren nicht zu erwarten, höchstens von den Göttern höchstselbst. Im günstigsten Falle würde sie diesen allmächtigen Wesen noch an diesem Abend persönlich begegnen, ansonsten war sie einfach tot. Da konnte der Priester noch so salbungsvolle Worte faseln!
     
    Nadif öffnete die Tür. Er machte Eindruck, voll gerüstet, wie er war. Kein Wunder, dass die kleine Zofe Gerun dieser Versuchung nicht widerstanden hatte. Den muskelbepackten Oberkörper des Kommandanten schützte ein glänzendes Kettenhemd, über dem er einen mit dem Königswappen bestickten blutroten Waffenrock trug. Von seinen in engen schwarzen Hosen steckenden Beinen war nicht viel zu sehen unter der langen Robe, und die festen Stiefel reichten ihm bis über die Knie. Am Waffengurt hing das Schwert in seiner mit filigranen Mustern verzierten Lederscheide, außerdem konnte Janica einen langen Dolch ausmachen. Warum gab man ihr nicht wenigstens ein Messer, damit sie dem Drachen ein paar Zahnschmerzen bereiten konnte?
    »Es ist Zeit!« Nadif verneigte sich vor der Prinzessin und setzte anschließend seinen mit einem großen Federbusch geschmückten Helm auf. Sein Gesicht verschwand hinter dem glänzenden Visier. Der Priester stülpte sich die Kapuze über den murmelrunden Schädel, die Hofdamen sanken in einem tiefen Knicks zu Boden. Janica war plötzlich ganz schummerig zumute. Bislang hatte sie das Ganze noch für einen ganz üblen Scherz des Schicksals gehalten. Jetzt überrollte sie die Gewissheit, an diesem Abend als Drachenspeise enden zu müssen, wie eine Walze aus dunklem Bitterwasser. Zwei Reisige der Schlosswache hinderten Janica daran, ohnmächtig zu Boden zu sinken. Sie packten sie links und rechts an den Armen und schleiften sie hinaus aus dem Raum der Erwartung.
    Draußen stand eine mit vier Rappen bespannte offene Kalesche bereit. Die Sonne stand schon tief am Himmel und ließ die Türme des mächtigen Gebäudes düstere Schatten über den weißen Kies des menschenleeren Schlosshofes werfen. Die Soldaten schoben Janica in den Wagen, der Priester folgte ihr. Suchend schaute sich die Prinzessin um, aber weder ihr Vater noch Ferinic waren irgendwo zu sehen. Am Eingang zur Schlossküche drängten sich einige Mägde, doch als Janica zu ihnen hinsah, huschten die Frauen rasch in die Dunkelheit der Gewölbe. Noch nie hatte sich Janica so verlassen gefühlt.
    Nadif und das Dutzend der Begleitreiter saßen auf, der Kutscher der Kalesche ließ die Peitsche in der Luft über den Rücken der schwarzen Pferde schnalzen. Der düstere Zug setzte sich langsam in Bewegung, hinaus zu dem weit offenen Tor.
    Benommen sah Janica die Geborgenheit ihrer Kindheit hinter sich entschwinden, als das Schloss von den Bäumen des Waldes, den sie jetzt durchqueren mussten, verdeckt wurde. Manchmal begegnete der traurige Treck Menschen, die sofort auf die Knie sanken, ihre Hüte von den Köpfen rissen oder auch nur in angedeuteten Verbeugungen verharrten. Janica nahm sie kaum wahr. Sie ließ nicht nur ihre Kindheit, sondern ihr ganzes Leben hinter sich. Es war vorbei, alles war vorbei.

4.Kapitel: Es ist angerichtet
     
    Die Ebene vor den Himmelsbergen war eine unwirtliche Gegend. Außer einigen dürren Grasbüscheln wuchs auf dem steinigen
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