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Unsichtbare Spuren

Unsichtbare Spuren

Titel: Unsichtbare Spuren
Autoren: Andreas Franz
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    DONNERSTAG, 22.55 UHR
     
    Durch ein paar Ritzen der heruntergelassenen Rollläden schimmerte noch Licht, als Butcher den Wagen vor der großen Garage abstellte und ihn mit der Funkfernbedienung abschloss, auch wenn dies eigentlich nicht nötig war. Hier kannte jeder jeden, und Fremde durchquerten kaum einmal diesen Ort, höchstens im Sommer, aber es war kein Touristenmekka wie die Städte und Dörfer entlang der Nord- und Ostsee. Hier wehte der Wind fast das ganze Jahr über den Geruch aus den Ställen und von den Viehweiden und den mit Gülle gedüngten Feldern durch die Straßen, ein Geruch, an den er sich nach nunmehr fast zehn Jahren gewöhnt hatte .
    Vor dem Eingang standen die Gummistiefel der Mädchen, im Flur ein langgezogenes Schuhregal mit Abteilungen für jedes Familienmitglied. Für seine Frau Monika, seine Töchter Laura und Sophie und seine Mutter. Nur für seine Schuhe war kein Platz mehr. Er musste sie immer daneben abstellen, und wenn sie dreckig waren, draußen ausziehen und auf einen großen Lappen direkt neben der Tür stellen. Laura und Sophie la gen längst im Bett, genau wie seine Mutter, die nie später als einundzwanzig Uhr auf ihr Zimmer ging. Seit er denken konnte, hatte sie einen festen Lebensrhythmus, den zu durchbrechen sie keinem gestattete, nicht einmal sich selbst. Sogar als sein Vater im Sterben lag, behielt sie diesen Rhythmus bei, während er, neun Jahre alt, die Hand seines Vaters in der Stunde des Todes hielt.
    Er warf einen Blick in die Küche, die wie abgeleckt aussah, kein Krümel auf der Arbeitsplatte oder dem Boden, das Ceranfeld des Herdes blitzte, ebenso die Schränke und das Fenster. Eine sterile, abweisende, fast feindliche Atmosphäre, die er kaum ertrug und an die er sich dennoch längst gewöhnt hatte. Und wie immer abends brannte das kleine Licht der Dunstabzugshaube, und es roch nicht nach Küche, sondern nach Putz- und Desinfektionsmitteln, und manchmal meinte er sich in einem Krankenhaus zu befinden. Wie oft hatte er sich eine Änderung herbeigewünscht, aber wie sollte sich etwas ändern, wenn es doch schon zum Alltag gehörte, seit er denken konnte? Seine Frau Monika und seine Mutter ergänzten sich hervorragend, und manchmal kam es ihm vor, als wären sie Geschwister und nicht Schwiegermutter und Schwiegertochter. Beide legten größten Wert auf Sauberkeit, Ordnung, Pünktlichkeit – und dass das getan wurde, was sie befahlen.
    Er ging ins Wohnzimmer, wo Monika vor dem Fernseher saß und sich eine Serie auf RTL ansah. Sie war klein, sehr zierlich, aber wer dachte, sie wäre zerbrechlich, täuschte sich, denn sie hatte eine unglaubliche Energie, eine solche Energie, dass er sich manchmal winzig und schwach vorkam. Oft hatte er das Gefühl, von dieser enormen Energie erdrückt zu werden, obwohl er Monika leicht mit einer Hand hätte töten können, was er jedoch nie gewagt hätte .
    Vor ziemlich genau elf Jahren hatten sie sich kennen gelernt.
    Sie war die Tochter einer Bekannten seiner Mutter. Nur zwei Monate später fand die Hochzeit im engsten Familienkreis statt, er, Monika, ihre Mutter und seine Mutter, drei Frauen, die bestens miteinander harmonierten und in deren Umgebung er ein Fremdkörper war. Kurz nach der Eheschließung wurde Monika schwanger und wollte unbedingt in ihre Heimat Schleswig-Holstein zurückziehen, wo sie geboren war und wo sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hatte. Er tat ihr den Gefallen unmittelbar nach Sophies Geburt, auch wenn ihn immer wieder das Heimweh nach Marburg plagte. Und eigentlich hätte alles sehr harmonisch verlaufen können, wäre seine Mutter nicht auf die Idee gekommen, mit ihnen in den Norden zu ziehen, in das Haus, das er gekauft hatte, auch wenn sie einen erheblichen Teil zum Kaufpreis beisteuerte. Es war sein Alptraum, der wahr geworden war. War Monika schon dominant, seine Mutter übertraf sie noch bei weitem. Und doch konnte er sich keiner von beiden entziehen. Nur wenn es ihm zu viel wurde und er sich zu sehr von ihnen bedrängt fühlte, setzte er sich in seinen Wagen und fuhr wie heute Abend einfach übers Land und durch die Dörfer und kleinen Städte .
    Monika wandte den Kopf und meinte mit gewohnt spitzer Zunge: » Ziemlich spät, was? «
    » Hat länger gedauert, als geplant. Tut mir leid, Schatz. Ich hab noch was zu erledigen und geh dann bald schlafen. «
    » Ohne mich? «, fragte sie mit Schmollmund und setzte sich aufrecht hin. Das eben noch Spöttische in ihrer Stimme war urplötzlich einer
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