Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unsichtbare Spuren

Unsichtbare Spuren

Titel: Unsichtbare Spuren
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
war.
    Das Schlimmste jedoch war, dass sie ihn noch ankleidete, als er bereits sechzehn war. Jeden Morgen musste er sich in seinem Zimmer an einen vorgegebenen Punkt stellen, während sie sich vor ihn kniete, ihm die Unterwäsche, das Hemd, die Hose, den Pullover und die Schuhe anzog. Manchmal, vor allem, als er schon älter war, hatte sie ihn an den Penis gefasst und gemeint, dies sei ja schon ein ganz schön großer Mann, was er anfangs nicht verstand, doch ihm war es unangenehm gewesen, aber er traute sich nicht, ihr das auch zu sagen. E r l ieß es über sich ergehen, so wie er es ertrug, wenn sie ihn badete und ihm die Haare wusch und ihn rasierte, bis er siebzehn war. Und die Badezimmertür durfte er nie abschließen, und als er es dennoch einmal wagte, den Schlüssel umzudrehen, stand sie so lange draußen davor und schrie und hämmerte gegen die Tür, bis er endlich aufmachte. Danach hatte sie den Schlüssel versteckt.
    Sein Vater hatte nie etwas davon mitbekommen. Er war ein gutmütiger, liebenswerter Mann gewesen, für den die Ehe die reinste Hölle war, die er nur ertrug, indem er den Frust im Alkohol ertränkte. Er tat dies so lange, bis er eines Tages – Butcher war acht Jahre alt – einfach im Bad umfiel und ins Krankenhaus gebracht werden musste. Dort stellten die Ärzte neben einem durchgebrochenen Magengeschwür zudem eine so weit fortgeschrittene Leberzirrhose fest, dass sie sagten, er habe vielleicht noch ein halbes, höchstens ein Jahr zu leben .
    Butcher kümmerte sich um seinen todkranken Vater, und er war auch der einzige Mensch an seinem Bett und hielt seine Hand, als er die Augen für immer schloss .
    Er trauerte lange und intensiv. Seine Mutter hingegen sagte, sein Vater sei eben ein Schwächling gewesen, einer, der mit seinem Leben nicht zurechtgekommen sei. Doch als er älter wurde, begriff Butcher, was oder besser wer seinen Vater in den Tod getrieben hatte. Und obgleich er seine Mutter liebte, hasste er sie auch. Aber er konnte sich nicht entscheiden, welches dieser Gefühle überwog, bis er vor Jahren beschloss, nicht mehr darüber nachzudenken. Sein Vater war tot, seine Mutter lebte. Das allein zählte.
    Butcher hatte nie einen Freund gehabt, Bekannte schon, aber wenn einmal einer von ihnen zu ihm nach Hause kam, so war es das erste und auch letzte Mal. Seine Mutter hatte es bestens verstanden, jeden von ihnen zu vergraulen, und wenn es nur durch eine simple Bemerkung war wie: » Hab t i hr zu Hause eigentlich kein Wasser? « Deshalb spielte er meistens allein im Garten oder ging zum nahe gelegenen Wald (der einzige Ort, zu dem er allein gehen durfte), der einen kleinen See umrahmte, fing Frösche, denen er die Beine ausriss und die Körper wieder ins Wasser warf, oder er lockte Eichhörnchen an oder fing Vögel, um ihnen bei lebendigem Leib den Kopf abzureißen oder sie an Bäume zu nageln. Einmal, Butcher war siebzehn, kam ihm ein entlaufener Hund entgegen, den er erst streichelte und später mit unzähligen Fußtritten wie im Rausch tötete. Er hatte so lange auf die hilflose Kreatur eingetreten, bis auch das letzte Winseln verstummt war.
    Mit achtzehn machte er sein Abitur, das er als Jahrgangsbester abschloss, worauf seine Mutter besonders stolz war und ihm zum Dank nicht nur den Führerschein, sondern obendrein noch ein Auto schenkte. Doch als er es hatte, durfte er anfangs nur damit fahren, wenn sie neben ihm saß und er ihre Anweisungen befolgte. Aber dieser Zustand hielt glücklicherweise nicht lange an. Bald fuhr er einfach so durch die Gegend, dachte nach und schaltete ab.
    Und er war immer noch achtzehn, als er eine fast zwanzig Jahre ältere Frau näher kennen lernte, die mit seiner Mutter befreundet war und die des Öfteren zu ihnen nach Hause kam. An einem Tag, seine Mutter hatte einen wichtigen Arzttermin und vergessen, ihrer Freundin abzusagen, stand sie vor ihm, eine auffallend schöne und wohlgeformte Frau, die ihn nach ein paar Worten zwischen Tür und Angel fragte, ob er sie nach Hause bringen könne, da sie zu Fuß da sei. Er tat es ohne Hintergedanken. Sie bat ihn mit hinein und begann ihn zu verführen. Sie zog, während er im Wohnzimmer stand, einfach ihren Rock und ihre Bluse aus und fragte ihn, ob er schon einmal mit einer Frau geschlafen habe. Er wurde rot und nickte verlegen, obgleich dies gelogen war, denn er hatte noc h n ie mit einer Frau geschlafen, er hatte noch nicht einmal eine berührt oder gar geküsst. Für ihn war es etwas Neues, unbeschreiblich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher