Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unsichtbare Spuren

Unsichtbare Spuren

Titel: Unsichtbare Spuren
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
ließ die andern beiden das jedoch nicht spüren.
    Butcher blieb bis um acht in der Kneipe. Er trank zwei Bier und auf Drängen seiner sogenannten Freunde, die eigentlich gar keine waren, einen Köm, der in seinem Magen brannte.
     

 
    SAMSTAG, 8.00 UHR
     
    B utcher war seit halb sieben auf. Er hatte als Erstes die Zeitung hereingeholt und las die Schlagzeile auf Seite eins, doch er würde den dazugehörigen Artikel später in aller Ruhe lesen. Er hatte noch einmal den Geburtstagstisch mit den liebevoll eingepackten Geschenken für Sophie begutachtet, den er am Abend zuvor mit seiner Frau gedeckt hatte. Seine Frau Monika war noch im Bad, seine Mutter stand in der Küche und bereitete das Frühstück vor, und Butcher wusste, dass Sophie bestimmt schon ganz aufgeregt vor dem Moment war, da sie endlich ihre Geschenke auspacken durfte, sie sich aber noch nicht aus ihrem Zimmer traute.
    Butcher ging zu seiner Mutter in die Küche und begrüßte sie mit einem » Moin «.
    » Guten Morgen, mein Sohn. Gut geschlafen? «, fragte sie, ohne aufzuschauen, während sie die gekochten Eier abschreckte .
    » Ja. Und du? «
    » Wieso fragst du mich das jedes Mal? Du weißt doch genau , dass ich immer wie ein Murmeltier schlafe «, antwortete sie, was auch stimmte, denn wenn sie schlief, konnte im Haus eine Bombe einschlagen, und sie würde nicht aufwachen. Im Gegensatz zu seiner Frau war Butchers Mutter recht groß, schlank und alles andere als unattraktiv. Sie hatte kurzes blondes Haar, das sie regelmäßig blondieren ließ, tiefblaue Augen, die je nach Stimmung warm oder kalt wirkten, markante Wangenknochen, schmale, doch nicht unsinnliche Lippen und Hände, die ihr Alter nicht verrieten. Wer sie sah, schätzte sie auf höchstens Mitte vierzig, obwohl sie zehn Jahre älter war. Zahlreiche Männer hatten ihr seit dem Tod seines Vaters Avancen gemacht, doch sie hatte alle mehr oder minder schroff abgewiesen. Obwohl erst Mitte fünfzig, hatte sie angeblich kein Interesse mehr an einem Mann. Warum, das hatte Butcher bisher nicht herausgefunden, aber eigentlich gab es für ihn nur einen triftigen Grund – sie wollte unbedingt weiterhin die absolute Kontrolle über ihn haben, sie wollte wissen, was er machte, ob er gut zu seiner Frau und seinen Kindern war, ob er auch regelmäßig arbeitete und genügend Geld nach Hause brachte. Eigentlich hatte sie nie an einem andern männlichen Wesen außer ihm Interesse gezeigt. Sie wollte immer noch die Mutter sein wie damals, als er klein und schutzbedürftig war. Doch ihr Schutz ging weit über das hinaus, was er gebraucht hatte, weit über das, was andere Kinder brauchen.
    Jeden Tag hatte sie ihn zur Schule gebracht und auch wieder abgeholt (den Kindergarten hatte er gar nicht erst besuchen dürfen), sie hatte seine Hausaufgaben überwacht, und wenn er in einem Fach schlechter als zwei stand, wurde er bestraft, manchmal mit drakonischen Maßnahmen, wobei das Harmloseste noch ein zweiwöchiger Stubenarrest war. Und sie hatte jeden seiner Schritte wie eine Glucke überwacht .
    Sein erstes Fahrrad hatte er mit fünfzehn bekommen, weil si e m einte, dies sei das richtige Alter dafür, erst dann sei man alt genug, um die Gefahren im Straßenverkehr auch abschätzen zu können. Aber das genügte ihr nicht. Anfangs war sie stets neben ihm gefahren und hatte ihm Instruktionen erteilt, wie er zu fahren hatte, worauf er besonders achten musste und dass er immer nur den Fahrradweg oder den Bürgersteig benutzen durfte. Jeden Abend hatte sie die Sachen zurechtgelegt, die er am nächsten Tag anziehen musste, ob sie ihm gefielen oder nicht. Sie hatte ihm bis zum sechzehnten Geburtstag erlaubt, maximal eine halbe Stunde fernzusehen, denn sie meinte, das würde den Augen schaden, und überhaupt sei Fernsehen schädlich für den Geist. Er solle lieber Bücher lesen, und schon als er zwölf war, wusste er mehr über die Werke von Eichendorff, Fontane, Tolstoi, Goethe, Schiller und den andern großen Dichtern und Denkern als die meisten Erwachsenen. Nicht, weil es sein Wunsch war, sondern weil sie es befohlen hatte. Alles in seiner Kindheit und Jugend war von seiner Mutter durchgeplant und bestimmt worden, bis ins kleinste Detail. Er durfte alles, nur nicht Kind sein. Und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte er auch nie erwachsen werden dürfen. Er hatte zwar ein eigenes Zimmer gehabt, doch nachts hatte sie verlangt, dass er in ihrem Bett schlief, während sein Vater in ein winziges Zimmer verbannt worden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher