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Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Titel: Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
Autoren: Jürgen Domian
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1
    Ein Buch über den Tod also.
Ein Jahr habe ich mit mir gerungen, ob ich dieses
Projekt beginnen soll. Es war ein ernstes Jahr.
     
    Gibt es nicht schon genug Bücher über den Tod?
    Warum soll gerade ich über den Tod schreiben? Kann ich es? Will ich es?
    Was habe ich zu sagen? Wie könnte ich dem größten Mysterium unserer Existenz gerecht werden? Zu welchem Resümee sollte ich kommen?
     
    Je mehr ich über diese Fragen nachdachte, desto klarer wurde mir eine Tatsache, die ich mir in dieser Deutlichkeit zuvor noch nie vor Augen geführt hatte – und für die ich keine Erklärung habe:
    Im Grunde ist der Tod das Thema meines Lebens.
    Nicht die Liebe, nicht der Erfolg, das Glück, die Schönheit oder die Gerechtigkeit. Nein, mein Lebensthema ist der Tod. Aber offensichtlich hatte ich bisher Scheu, mir dies so klar einzugestehen. Erst die letzten Monate brachten mich zu dieser Erkenntnis, obwohl der Tod seit Jahrzehnten mein Begleiter ist.
    Über nichts habe ich so viel, so oft, so kontrovers, so verzweifelt nachgedacht wie über die Endlichkeit. Schon als dreizehnjähriger Hauptschüler, bildungsfern
und ohne jeglichen intellektuellen Hintergrund, hatte ich den Tod in meinem Kopf. Warum müssen die Menschen sterben? Was passiert danach? Wann sterben meine Eltern? Wann sterbe ich? Wie sterbe ich? Gibt es ein Paradies? Existieren dort alle Verstorbenen weiter? Können die Toten mich sehen? Kann man Toten etwas mitteilen? Wie sehen sie aus? Sind sie nackt oder bekleidet? Werden tote Kinder im Jenseits nie erwachsen? ...
    Versuchte ich mit meinen Schulfreunden über derartige Fragen zu sprechen, so war die Diskussion schnell zu Ende. Sie interessierten sich nicht für meine merkwürdigen Grübeleien und hielten mich bestimmt für einen Spinner. Auch meine Eltern konnten meine Fragen nicht wirklich beantworten, so sehr sie sich auch mühten und meine Gedanken ernst nahmen. Ich blieb allein mit meinem Unbehagen und meiner Angst. Etwa der großen Angst, im Schlaf zu sterben und am nächsten Morgen tot in meinem Bett zu liegen. So kam es, dass ich wohl das einzige Kind in meiner Umgebung war, das sehr gerne in den Konfirmandenunterricht ging.
    Dieser Unterricht war damals meine Rettung. Denn die Fragen wurden immer bohrender und die Ängste immer unerträglicher, und bestimmt hätten meine Eltern in ihrer Sorge um mich irgendwann einen Arzt hinzugezogen. Was in den 1960er Jahren eine heikle Entscheidung gewesen wäre. Die Seele des Kindes war noch kaum erforscht, die Medikamente waren schlecht und
die Kinderpsychiatrien glichen eher Kindergefängnissen als akzeptablen Krankenhäusern.
    Die Autorität unseres damals schon sehr alten Pastors zog mich dann tief hinein in den christlichen Kosmos. Zwar war ich im christlichen Sinne erzogen worden, wie die meisten von uns, und meine Eltern waren gläubige Menschen, aber erst die Strahlkraft des Pastors vermochte mich wirklich zu erreichen. Ich gierte geradezu nach seinen Deutungen und Erklärungen, die mich mehr und mehr überzeugten, ich begann täglich und viel in der Bibel zu lesen, ließ keinen Gottesdienst aus und betete morgens, mittags und besonders ausdauernd am Abend.
    Ich wurde ein fanatischer Christ. Aber dazu später. Seit dieser Zeit ist kein Tag vergangen, an dem ich mich nicht auf irgendeine Weise mit dem Tod beschäftigt habe. Ich übertreibe nicht. Sicher, es gab Tage und Wochen, da hielt sich diese Beschäftigung in Grenzen. Aber selbst in unbeschwerten oder gar glücklichen Zeiten irrlichterten Gedanken über den Tod durch meinen Kopf. Was mich besonders traf, weil sie mir die Vergänglichkeit auch des Schönen vor Augen führten. Seit Jahren nun bin ich sogar beruflich beinahe jede Nacht mit Tod und Sterben konfrontiert. Ich habe in meiner Talk-Sendung im WDR-Fernsehen und in Radio 1LIVE mit so vielen Todkranken, Sterbenden und Trauernden gesprochen, ich könnte keine genaue Zahl nennen.

    Hubert war der Erste, Tausende folgten. Hubert rief im Mai 1995 in meiner Sendung an, 35 Jahre alt, leukämiekrank im Endstadium. Er litt unter großer Einsamkeit und hatte sich zum Sterben aus der Klinik nach Hause verlegen lassen. Ich kann mich noch sehr gut an eine Antwort von ihm erinnern. Auf meine Frage »Überkommt dich manchmal Wut, dass du so jung sterben musst?«, sagte er: »Am Anfang ja, jetzt aber nicht mehr. Es kann ja morgen in der Frühe schon zu Ende sein. Wenn jemand anruft und sagt ›Bis morgen‹, dann kann ich das nicht erwidern. Es gibt für mich
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