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Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Titel: Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
Autoren: Jürgen Domian
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nur noch jetzt .«
    Gerade dieser letzte Satz beeindruckt mich bis heute. Lehrt der Tod die Menschen die Gegenwart? Lehrt er uns gar, richtig zu leben? Wie verändert sich ein Mensch im Angesicht des Todes? Ist der Tod weise? Kennt er Güte, Gnade, Moral und Gefühl? Könnte er uns Antworten geben auf die großen Fragen unseres Lebens? Oder ist er schlichtweg ein ausführendes Organ, ein kalter Vollstrecker – ohne Meinung, Herz und Wissen?
     
    Ich habe in meiner Sendung bisher mit etwa zwanzigtausend Menschen gesprochen. Dabei ging es um alle erdenklichen Themen. Um Liebe, Glück, Sexualität, Glauben, Angst, den 11. September, Michael Jackson, ausgefallene Berufe, die Zeugen Jehovas, den Papst, Politik, TV-Shows, Krankheiten – und immer
wieder um Tod und Abschied. Ich habe mit ganz Jungen gesprochen und mit ganz Alten. Mein jüngster Anrufer war elf Jahre alt, meine älteste Anruferin sechsundneunzig. Es waren sehr Reiche darunter und sehr Arme, hochgebildete Menschen und etliche ohne Ausbildung oder Schulabschluss. Auch Prominente haben bei mir angerufen und Zuschauer oder Zuhörer aus dem fernen Ausland, etwa aus China, Brasilien oder den USA.
    Zwanzigtausend Interviewpartner also. Vom Mörder bis zum Lottomillionär. Vom Show-Star bis zum Obdachlosen. Vom Priester bis zum Satanisten.
    Mit einem allerdings habe ich noch nicht gesprochen. Er fehlt bisher in der langen Reihe meiner Talk-Gäste. Denn er ist scheu und meidet die Öffentlichkeit. Er zählt zu den Top-Prominenten dieser Welt. Er hat tausend Gesichter, aber nur eine Aufgabe. Er ist sehr alt und doch für immer jung. Er ist äußerst fleißig und schläft nie. Einen besonderen Namen hat er nicht, aber es gibt einige, die nennen ihn einen Meister aus Deutschland, andere sagen einfach Schnitter oder Gevatter zu ihm.
     
    Es ist der Tod selbst.
Mit ihm habe ich noch nie gesprochen.
     
    Nun ist es Zeit, dies zu tun.
In diesem Buch.

    Gesprächsprotokoll
    Ich danke dir, Tod, dass du dir die Zeit nimmst, dich mit mir zu unterhalten.
    Der Tod: Für mich gibt es keine Zeit, aber ohne sie gäbe es mich nicht. Endet die Zeit, endet der Tod. Und Dank ist mir niemand schuldig. Ich tue nur, was zu tun nötig ist.
    Bleiben wir zunächst bei der Zeit. Was eigentlich ist die Zeit? Weißt du es?
    Ach, die Zeit. Ihr Menschen nehmt sie viel zu wichtig und lasst euch von ihr blenden. Ihr lasst euch gefangen nehmen von der Vergangenheit oder der Zukunft. Für den, der wirklich lebt, spielt Zeit keine Rolle. Sobald ihr über sie nachdenkt, habt ihr schon verloren.
    Aber mir bleibt als Mensch doch gar nichts anderes übrig, als über die Zeit nachzudenken. Wie soll ich denn mit ihr umgehen?
    Das Vergangene ist bereits tot. Das Zukünftige nichts weiter als eine Illusion.
    Schön philosophisch gesagt. Aber was bedeutet das für den menschlichen Alltag? In unserem Leben spielt die Zeit eine große Rolle. Ein Beispiel: Ich muss mich doch um meine spätere Rente kümmern ...
    Wenn du meinst, ja. Jedoch sollst du dich »kümmern« – und die Sache dann schnell wieder vergessen.
    Es geht immer nur um den Moment?
    Der Moment ist die einzige Wirklichkeit, die ihr Menschen habt.
    Gibt es überhaupt »den Moment«? In der Sekunde, in der ich »jetzt« denke, ist »jetzt« bereits Vergangenheit.
    Deshalb sollst du nicht »jetzt« denken, sondern jetzt leben.
    Wie Hubert es sagte.
    Wie Hubert es sagte.
    Gesprächspause
    Wie geht es Hubert?

    Oh, du forderst mich heraus – und willst schon jetzt eine Antwort auf die gewichtigste Frage der Menschen: Gibt es ein Leben nach dem Tod?
    Ich denke seit Jahrzehnten darüber nach.
    Und die Menschheit seit Jahrtausenden. Deshalb wurden die Religionen erfunden.
    Erfunden? Lügen sie denn alle?
    Gemach, mein sterblicher Freund!
Alle haben Recht – und alle lügen sie.
    Oh, eine sehr exakte Antwort.
    Sie wissen alle um die Liebe, die Ewigkeit oder das Nichts.
    Willst du damit sagen, dass alle Religionen etwas Gemeinsames haben, auf einen Punkt zulaufen?
    Ja, so könnte man es ausdrücken. Aber das vertiefen wir später.
    Gut, kommen wir auf meine vorhin gestellte Frage zurück. Was geschieht mit den Menschen, wenn du dein Handwerk getan hast?

    Man beerdigt oder verbrennt sie, in der Regel.
    Welch eine Neuigkeit.
    Du solltest präziser fragen.
Ist der Mensch tot, so ist der Mensch tot.
    Alles, was ihn ausmacht?
    Der Körper zerfällt. Und das Ich auch.
    Gesprächspause
    Warum ist das so?
    Weil sich alles ständig verändert. Weil alles im
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