Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Titel: Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
Autoren: Jürgen Domian
Vom Netzwerk:
und Jenseits geschrieben. Zudem war es mit viel Fleißarbeit verbunden, genau diese Textpassagen in den manchmal umfangreichen Werken zu finden. Wobei mich ausführliche theoretische Erörterungen nicht interessierten, sondern die wichtigsten Grundaussagen zum Thema.
    Und diese suchte ich zunächst bei meinen neuen Idolen, bei Nietzsche und Feuerbach. Die mir jedoch, um es gleich vorweg zu sagen, nicht maßgeblich weiterhelfen konnten. Nietzsche verachtet die Angst vor dem Tod. Für ihn gibt es weder Jenseits noch Seele. Die ewige Frage, was denn nun nach dem Tode sei, solle uns überhaupt nicht interessieren, meint er. Es gebe Wichtigeres. Nämlich das Leben, und deshalb sollten wir unser Augenmerk darauf richten, unbedingt und immer rigoros zu leben. In Die fröhliche Wissenschaft 4, § 278 schreibt er:
    »... Es macht mich glücklich zu sehen, dass die Menschen den Gedanken an den Tod durchaus nicht denken wollen! Ich möchte gern etwas dazu tun, ihnen den Gedanken an das Leben noch hundertmal denkenswerter zu machen.«
     
    Feuerbach geht in eine ähnliche Richtung. In seiner Schrift Gedanken über Tod und Unsterblichkeit zieht
er gegen eine unsterbliche Seele und ein wie auch immer geartetes himmlisches Weiterleben zu Felde. Genau wie Nietzsche feiert er das Leben und sagt, dass der Tod im eigentlichen Sinne für den Menschen gar nicht existiere, und knüpft damit an den alten Griechen Epikur an, von dem der berühmte Spruch stammt: »Wenn wir sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind wir nicht.« Für Epikur bedeutet der Tod das endgültige und absolute Ende des Menschen. Alles, Körper und Geist, zerfalle nach dem Dahinscheiden in seine Atome und löse sich im Weltgeschehen auf. »Der Tod«, meint Epikur, »geht uns nichts an; denn was sich aufgelöst hat, ist ohne Empfindung; was aber ohne Empfindung ist, geht uns nichts an.«
    Dies sind zwar beeindruckende Sprüche und dahinter steckt eine komplexe Philosophie, mein Herz aber konnten weder Sprüche noch Philosophie erreichen. Zu besessen war ich von den Schrecken des Todes. Ich malte mir am Ende eines jeden Tages aus, dass ich nun wieder ein Stück näher herangerückt war an mein eigenes Ende. Ich kam mir vor wie der Insasse in einem Gefängnis, der ein langes Maßband an seine Wand gehängt hat und jeden Tag einen Zentimeter abschneidet, wobei die Zahl der Gesamtzentimeter die noch abzusitzenden Gefängnistage anzeigt. Der Unterschied zwischen mir und dem Gefangenen allerdings bestand darin, dass ihn etwas Gutes erwartete,
nämlich die Freiheit, ich hingegen hatte das Grauen vor Augen. Und zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich den unerhörten Gedanken: »Wäre es besser, niemals geboren zu sein?« Woher nahm ich eigentlich die Gewissheit, dass der Tod etwas Schreckliches sei? Vielleicht war er ja sogar etwas Gutes oder zumindest Hinnehmbares? Selbst wenn es keine Weiterexistenz nach dem irdischen Ableben gab, wäre das dann folgende Nichtsein so schlimm? Überhaupt, wer sagte mir, dass Sein besser sei als Nichtsein? Zumal es ja vor meiner Geburt bereits den Zustand des Nichtseins gegeben hatte – und ich mich an nichts Negatives erinnern konnte.
    Mit diesem Gedankengang war ich bei Schopenhauer. Er sagt, dass es absurd sei, darüber zu trauern, irgendwann nicht mehr zu sein. Ebenso könne man darüber trauern, vor der Geburt nicht gewesen zu sein. Seiner Auffassung nach aber wird kein lebendes Wesen, so auch nicht der Mensch, durch den Tod absolut vernichtet, sondern lediglich zurückgeführt in seinen Urzustand. Dieser Urzustand, Schopenhauer nennt ihn unseren »wahren Kern«, war immer schon da, eben auch vor unserer Geburt, und wird auf ewig existieren. Der Tod vernichtet lediglich den Intellekt eines Menschen und sein individuelles Bewusstsein. Was aber nun diesen so genannten »wahren Kern« ausmacht und warum er unsterblich ist, diese Fragen bleibt uns Schopenhauer schuldig. Man muss es glauben
 – oder eben nicht. In manchen Punkten sind sich Religionen und Philosophien doch allzu ähnlich.
     
    Genau das dachte ich auch, als ich mich mit Platon beschäftigte. Ich stieß auf eine Märchenwelt. Zunächst: Nach Platon besteht der Mensch aus Leib und Seele. Die Seele ist unsterblich, und durch den Tod wird sie vom Leib getrennt. Die Unsterblichkeit der Seele versucht er unter anderem im Phaidon , einem seiner in Dialogform verfassten Werk , zu beweisen.
    Das ist eine nette philosophisch-sprachliche Spielerei, gelingt aber natürlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher