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Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Titel: Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
Autoren: Jürgen Domian
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redeten ein Wort. So lebte ein jeder in dieser kleinen Familie isoliert, die Verzweiflung und der Schmerz hatten sie einbetoniert. In ihrer Not meldete die Frau sich bei uns. Es wurde eines der schwierigsten Gespräche für mich. »Und Gott«, sagte sie, »für mich gibt es keinen Gott mehr, und sollte es ihn geben, das ist kein liebender Gott, das ist ein Monster.« Wir haben sehr lange miteinander gesprochen, fast dreißig Minuten.
    Das ist für eine Telefon-Talkshow im Fernsehen eigentlich ein Unding. Die Durchschnittslänge eines Interviews beläuft sich auf etwa zehn Minuten. Die TV-Einschaltquoten am nächsten Tag allerdings zeigten uns, dass niemand weggeschaltet hatte, im Gegenteil. Während des Gespräches waren immer mehr Zuschauer dazugekommen.
     
    Wie begegnet man einem Menschen, der einen so unermesslichen Schmerz ertragen muss? Was sagt man? Wie tröstet man? ...
    Man kann nicht trösten! Ich zumindest kann es nicht. Es gibt keine Worte, die auch nur ein bisschen helfen könnten. Wenn überhaupt, findet die Hilfe jenseits der Worte statt. Indem man da ist, indem man zuhört,
indem man aufmerksam ist. Darum habe ich mich bemüht. Als ich mich dann von der Frau verabschiedete, wurde ich meiner Tränen kaum mehr Herr.
     
    Es ist unfassbar, welche Katastrophen der Tod auslösen kann. Manche Menschen verlieren danach ihren Glauben an Gott, manche werden heimgesucht von einem Gefühl alles umfassender Sinnlosigkeit. So wie jener junge Mann, der bei uns anrief und folgende Geschichte erzählte, die sich zwei Tage zuvor zugetragen hatte. Er wohnte in einem Mehrfamilienhaus in einer kleinen Wohnung zusammen mit seiner Frau und dem gerade einmal zwei Monate alten Kind des Paares. Am Abend verlässt er für ein paar Stunden die Wohnung, um an seinem Arbeitsplatz noch etwas zu erledigen. Als er zurückkommt, sieht er schon von weitem mehrere Feuerwehrautos vor seinem Haus stehen – und dichten Rauch aus den Fenstern seiner Wohnung herausquellen. Er gerät in Panik und versucht mit vollem Körpereinsatz, in das Haus hineinzukommen, wird aber von Feuerwehrleuten daran gehindert. Er muss draußen stehen bleiben und abwarten. Und dann geschieht das für ihn Unbegreifliche: Sein kleines Kind und seine Frau werden tot aus dem Haus herausgetragen.
    Ein Kabelbrand war die Ursache des Unglückes gewesen. Die Frau des Anrufers hatte bereits geschlafen und nichts von dem Feuer bemerkt.

    Während des Gespräches hatte ich den Eindruck, dass der Mann vor Entsetzen kaum mehr atmen konnte. Er vermittelte mir das Gefühl vollkommener Aussichtslosigkeit. Ich konnte es sehr gut nachempfinden, so wie all die anderen sicher auch, die vor den Fernsehgeräten oder Radios saßen und uns zuhörten.
     
    Der Tod hatte zugeschlagen. Erbarmungslos. Kinderlachen, Liebe, Menschenglück interessieren ihn nicht.

    Gesprächsprotokoll
    Warum hast du das Leben des Säuglings und der jungen Frau ausgelöscht?
    Ihre Zeit war abgelaufen.
    Die Zeit eines zwei Monate alten Kindes?
    Ja.
    Das verstehe ich nicht.
    Ich gehe immer zu denen, deren Aufgabe auf Erden erfüllt ist.
    Ein zwei Monate altes Kind hat seine Aufgabe bereits erfüllt?
    Ja. Manche Menschen benötigen dafür achtzig oder neunzig Jahre, manche vielleicht nur ein paar Stunden.
    Wie zynisch!

    Zynismus ist eine menschliche Eigenschaft. Ich habe keine menschlichen Eigenschaften. Es sind nicht die Jahre, in denen sich der Sinn eines Lebens erfüllt. Auf die Länge des Lebens kommt es nicht an.
    Was war der Lebenssinn dieses zwei Monate alten Säuglings?
    Wenn ihr Menschen von Sinn sprecht, ist immer eure Ratio im Spiel. Alles muss in den Kategorien eurer menschlichen Beschränktheit beschrieben, erklärt und gelöst werden. Eins und eins ist zwei. Damit gebt ihr euch zufrieden. Das Sein aber ist weitaus mehr und entzieht sich gänzlich eurer Vernunft und eurer Sprache.
    Du denkst nie an die Hinterbliebenen?
    Nein, warum sollte ich?
    Weil du so großes Leid anrichtest.
    Ich weiß nicht, was Leid ist. Aber ich weiß, dass
Leben und Leid einander bedingen. Ohne das
Leben kein Leid und ohne Leid kein Leben.
    Du hast also nie Mitgefühl?!
    Mitfühlend zu sein ist das Erstrebenswerteste für den Menschen. Für mich aber ist Mitgefühl ohne jede Bedeutung.
    Zweifelst du denn nie?
    Nein. Ein zweifelnder Tod wäre kein Tod mehr. Ich zweifele nie – und ich irre nie.
    Du irrst nie?
    Dann sind also die Millionen Kriegsopfer auf Erden  ... richtig? Die KZ-Opfer? Die im Gulag Ermordeten? Die von
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