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Auf ewig und einen Tag - Roman

Titel: Auf ewig und einen Tag - Roman
Autoren: Elizabeth Joy Arnold Angelika Felenda
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PROLOG
    In meiner untersten Schublade, verborgen unter Einwickelpapier, für das noch kein passendes Geschenk gefunden wurde, bewahre ich ein Foto auf. Auf dem Bild stehen zwei Mädchen in neuen pinkfarbenen Badeanzügen Arm in Arm am Strand von Rhode Island. Sie wenden das Gesicht vom Wasser ab, sodass ihnen das dunkle Haar gegen die sonnenverbrannten Wangen weht. Sie lachen, weil sie glauben, sie würden sich kennen.
    In jenen Jahren, in denen wir nicht miteinander redeten, zog ich mindestens einmal pro Woche das Bild aus der Schublade. Ich studierte es, als wäre es eine mikroskopische Probe, eine DNA-Spirale oder Amöbe. Ich sah in die Augen der kleinen Mädchen und suchte nach einer Seele. Doch so aufmerksam ich das Foto auch betrachtete, ich konnte dennoch nicht herausfinden, welche der beiden ich war.
    Ich nehme dieses Bild nicht mehr heraus. Die einzigen Bilder, die ich ansehe, wurden während der vergangenen Jahre aufgenommen, Bilder, auf denen wir so verschieden aussehen, dass nicht einmal ich mehr die Ähnlichkeit zwischen uns erkenne. Das ist auf seine Art noch viel verstörender, wenn auch weniger schmerzlich als diese beiden Mädchen, die glaubten, das ganze Leben sei eine Sache, die man Arm in Arm in pinkfarbenen Badeanzügen verbringen würde. Ich will mich nicht mehr daran erinnern, wie ähnlich wir uns einmal waren. Im Alter von sieben
Jahren hatten wir das gleiche Gesicht, den gleichen Körper und die gleiche Zukunft. Nur zehn Jahre später wünschte ich, Eve wäre tot.
     
    Wir lebten in unserer eigenen Welt, Eve und ich. Ich kann mir vorstellen, wie wir im Bauch unserer Mutter schwammen, ohne uns darum zu kümmern, ob es noch andere Menschen gab. Und so ähnlich war es während unserer ersten Lebensjahre, deren Verlauf wir damals noch sorglos einfach nur registrierten.
    In unserer Welt gab es eine eigene Sprache, mit der wir uns verständigten, bevor wir die Wörter unserer Außenwelt lernten. Daddy sagte, er sei immer vor unserer Tür stehen geblieben, um zwei Babys zuzuhören, die noch kaum laufen konnten, aber munter drauflosplapperten wie Ausländer. Es war keine Sprache mit Grammatik oder Syntax, nicht einmal ein Verstehen, das sich aus gemeinsamer Erfahrung ergibt, vielleicht aber eine zwillingshafte Telepathie, die in unseren gleichen Genen angelegt ist. Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, wie es war und was wir sagten, aber diese Sprache ist wie die beiden Mädchen am Strand: ein Stück aus einem anderen Leben.
    Ich versuche, mich an einen bestimmten Moment zu erinnern, an dem sich alles änderte. Vielleicht kann sich eine Welt nur bis zu einem bestimmten Punkt ausdehnen, bevor sie einstürzt, vielleicht ächzt eine Zwei-Personen-Welt unter dem Gewicht von dreien.
    Die dritte Person war Justin, den ich in dem Alter kennenlernte, bevor Mädchen aufhören, mit Jungen zu spielen. Es war kurz nachdem unsere Mutter fortgegangen war, am Tag, nachdem wir nach Block Island gezogen waren - zwei Stunden mit der Fähre von New London mit den paar Habseligkeiten, die
unsere Mutter zurückgelassen hatte. Und an diesem Tag, noch ganz benommen von dem Verlust all dessen, was wir gekannt hatten, traf ich ihn.
    Am Ende unserer gemeinsamen Einfahrt saß er rittlings auf dem Ast eines Apfelbaums, der zum Klettern gemacht schien, mit einem Pappschwert in der Hand und einem Football-Helm auf dem Kopf. Ich mochte ihn sofort.
    Schweigend ging ich auf den Baum zu und fragte mich, ob er wohl etwas dagegen hätte, wenn ich zu ihm hinaufstieg. Er sah auf mich herab und hob sein Schwert. »Du befindest dich auf meinem Grund und Boden«, rief er. »Wer bist du?«
    Ich trat zurück, machte den Mund auf, schloss ihn wieder und lächelte.
    »Du weißt es nicht mehr?«
    Ich schüttelte den Kopf, bis ich schließlich herausbrachte: »Ich bin Kerry.«
    Mit lautem Gebrüll sprang er herunter und stürmte mit seinem Schwert auf mich zu. Ich griff mir an den Bauch, würgte, taumelte und fiel zu Boden. Von da an waren wir Freunde.
    Justin war drei Jahre älter, und das in einem Alter, in dem drei Jahre so viel wie drei Jahrzehnte bedeuten können. Aber er spielte mit uns, vielleicht weil es ihn reizte, sich als Anführer und Beschützer aufzuführen, vielleicht weil Eve und ich die einzigen anderen Kinder in einer Straße waren, in der es sonst nur alte Ehepaare und Geschiedene gab. Wir vergötterten ihn. Er war unser Held und stand uns bei mit Rat und Tat, wofür unser Vater nicht die Zeit oder nicht das Gespür besaß.
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