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Zeit des Lavendels (German Edition)

Zeit des Lavendels (German Edition)

Titel: Zeit des Lavendels (German Edition)
Autoren: Petra Gabriel
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    K atharina fröstelte. Das Leinenhemd unter ihrem grünen Mieder war zwar sauber, aber alt und abgetragen.
    Es hielt nicht mehr sonderlich warm. Außerdem taten ihr die Füße weh. Sie beneidete die Menschen, die wenigstens einen Platz auf einer der Kirchenbänke hatten. Sie gehörte zu jenen, die stehen mussten. Die vorderen Bänke waren den Vertretern der noblen Familien vorbehalten, auf den hinteren saßen die freien Bauern und Handwerker mit ihren Familien, sorgsam nach Männern und Frauen getrennt. Um sich etwas aufzuwärmen, trat sie von einem Fuß auf den anderen. Das trug ihr den giftigen Blick ihrer Nachbarin ein. Jungfer Elisabeth, die Tochter des Gerbermüllers, legte großen Wert auf Formen. Katharina beobachtete sie verstohlen unter den Wimpern hindurch und kicherte in sich hinein. Nun, das hatte ihr auch nicht geholfen, einen Mann zu finden. Denn mit ihren sonstigen »Formen«, die sie durch ein ziemlich eng anliegendes, besticktes Mieder besonders zu betonen versuchte, war es ganz offensichtlich nicht so weit her. Mit ihren 27 Jahren war Elisabeth jedenfalls noch immer ledig, trotz einer recht ansehnlichen Mitgift. Wahrscheinlich, weil ihre Zunge ebenso spitz war wie ihre Ellbogen. Die Hände hielt Elisabeth ordentlich gefaltet vor ihrer Brust — wenn sie nicht gerade an ihrer Haube zupfte. Ganz die biedere, sittsame Bürgerstochter, die etwas auf sich hielt. Besonders an einem Tag wie diesem.
    Katharinas innere Anspannung wuchs. Sie richtete ihre Augen wieder nach vorne. Schließlich gab es nicht allzu oft ein Hochamt anlässlich der feierlichen Ernennung einer neuen Äbtissin des weltlichen Damenstiftes Seggingen. Nun war die Stühlungsmesse fast zu Ende.
    Die Mauern des Fridolinsmünsters strahlten noch die Kühle aus, die sie in längst vergangenen kälteren Tagen gespeichert hatten. Durch die Ornamente der hohen Spitzbogenfenster gebrochen, strömte Sonnenlicht in den hohen Kirchenraum und bildete einen Kranz um die Frau, die vorne vor dem Altar stand. Sie war festlich gekleidet; aus dem Schwarz ihres einfach gehaltenen Kleides, das unter einem schweren samtenen Umhang zu sehen war, glitzerten goldene Fäden. Die in doppelte Falten gelegte, schwarze Samthaube war mit einigen Perlen bestickt. Außer einer Perlenkette, die ihr fast bis zur Taille ging, trug sie als Schmuck nur noch den Siegelring der Äbtissin an ihrer schmalen rechten Hand. Eine ganz besondere neue Würde ging von ihr aus: Magdalena von Hausen, nun die gestühlte Äbtissin des Stiftes, damit Reichsfürstin und in weltlichen Dingen nur noch dem Kaiser verantwortlich. Aus dem unscheinbaren Stiftsfräulein war eine Frau mit Macht geworden, Herrin über riesige Ländereien und über zahllose Leben.
    Domherr Jakob Murgel, der Abgesandte des Bischofs, stand neben ihr, ebenfalls dunkel gekleidet nach der Manier der Spanier. Sein weißer, gefältelter, mit Reismehl gestärkter Kragen war sorgsam über seinen Umhang drapiert. An seinen für einen Mann eher weich wirkenden, etwas wulstigen Fingern blitzten die Juwelen in den Lichtstrahlen, die den Chorraum erreichten.
    Katharinas schillernde, braungrüne Katzenaugen hingen gebannt an dem stattlichen Paar. Besonders die Gestalt der Frau im dunklen Umhang, die stille Würde, die sie ausstrahlte, waren für sie ein Quell des Staunens. Die Frau, die sie schon ihr Leben lang kannte, schien plötzlich eine andere geworden zu sein. Sie verstand nicht, was mit Magdalena von Hausen geschehen war, was diese Wandlung verursacht hatte. Gestern noch hatte sie wie ein demütiger Schatten gewirkt. Nun stand sie da - ruhig, gefasst, mit der Entschlossenheit eines Menschen, der ein Ziel hat und den Weg dorthin genau kennt.
    Und sie spürte die Kraft der Macht, die der Mann neben ihr verkörperte. Die ganze Autorität der Kirche, die absolute Gewalt über die Seelen. Er strahlte sie förmlich aus. Dieser Mann kannte die tiefsten Ängste der Menschen und wusste mit ihrer Furcht zu spielen. Sein Gesicht wirkte kalt und unbewegt. Nur die dunklen Augen musterten unablässig und intensiv, fast drohend, die Menge der Kirchenbesucher. Unwillkürlich zuckte Katharina zurück. Auch wenn sie ihn bisher nur von weitem gesehen hatte — dieser Mann machte ihr Angst.
    Der Gottesdienst war endlich beendet, die Luft schwanger von Weihrauchschwaden. Katharina hatte alle Mühe, ein Niesen zu unterdrücken. Im Chor der Kirche schwang noch der Nachklang der letzten Worte. Ein Zug würdiger Frauen und Männer und die
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