Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt

Titel: Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
Reede rückte zur Seite, damit sie vorbeigehen konnten. Er sah ihnen hinterher, wie sie durch die spärlicher werdende Menge schritten; sie steuerten auf die Treppe zu, auf der er nach unten gekommen war. Indem er ihr Eintreffen und ihr Fortgehen beobachtete, schloß sich der Kreis.
    Er kehrte der leeren Treppe den Rücken zu, ihre Privatsphäre achtend; statt dessen widmete er sich wieder dem Orchester und Ariele. Eine sanfte Melodie verscheuchte seine Gedanken, und Reede Kullervo verlor sich in der Menge.
     
    Mond führte BZ durch die stille Halle, dann eine andere Treppe hinauf und weitläufige Korridore entlang; sie hielten sich bei den Händen. Er stellte ihr keine Fragen, sondern folgte ihr so fügsam, als sei er immer noch ein Gefangener. Als sie ihn von der Seite anschaute, spürte sie in ihrem Innern einen Schmerz. Sie hatte gedacht, sie brächte ihn in ihr Schlafzimmer; doch sie gingen daran vorbei. Neugierig sah BZ sie an, fragte jedoch nicht.
    In den endlosen Wochen, die N on der Ankunft des Tribunals bis zu BZs Rückkehr vergangen waren, hatte sie täglich bis tief in die Nacht hinein gearbeitet; von allen Seiten drängten Pflichten auf sie ein, denn Tiamats Beziehung zur Hegemonie mußte neu definiert und die katastrophalen Schäden der Sturmflut beseitigt werden. Aber jede Nacht, wenn sie endlich allein in ihrem Bett lag, stellte sie sich vor, er läge neben ihr; sie malte sich dann aus, wie er atmete, wie sein Herz schlug, wie seine wärmende Umarmung ihren kalten, gramgebeugten Körper wieder zum Leben erweckte.
    Nun jedoch, wo sie endlich miteinander allein waren, wußte sie, daß sie das weder wollte noch brauchte. Die erste Aufwallung von Freude, die sie beide bei ihrem Wiedersehen empfanden, hatte sie mit Würde über das Fest gebracht. Aber hier, in diesen leeren Hallen, verblaßte die Begeisterung. Zurück blieben Erinnerungen, Gespenster und Schatten. Und als sie in sein müdes, gezeichnetes Gesicht blickte, verstand sie, daß auch er nicht zu Intimitäten gedrängt werden wollte.
    Deshalb hatte sie ihn durch die Säle und schließlich die Wendeltreppe hinaufgeführt, in ihr privates Zimmer in der Spitze des Palastes, die zugleich die Spitze der Stadt war. Rings um sie her öffnete sich der Himmel und glühte im Feuer zahlloser Sterne. Das kühle, blausilberne Gesicht von Tiamats einzigem, riesigem Mond schwebte mit geheimnisvollem Leuchten über dem Meer.
    BZ holte verblüfft Luft, als er sah, welches Bild sich ihnen darbot. »Ich hatte ja gar keine Ahnung, daß es so etwas gibt.« flüsterte er. Sie wußte nicht, ob er dieses Zimmer oder die Schönheit des Ausblicks meinte. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, während sie dastanden und schauten; einander in den Armen haltend, vergaßen sie ihre eigene Existenz.
    dem ruhigen, schwarzglänzenden Meer durchbrach etwas die Wasseroberfläche; eine Silhouette, gefolgt von anderen, schnellte hoch; gemeinsam zogen sie Spuren durch den schimmernden Ozean und erinnerten an all das, was sich unter der trügerischen Stille verbarg. »Sind das Mers?« fragte er.
    »Ich glaube ja«, antwortete sie leise. »Aber auf die Entfernung bin ich mir nicht sicher.«
    Er seufzte. »Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, diese Welt noch einmal wiederzusehen ... oder dich ...« Während er ihr in die Augen blickte, streichelte er ihr Gesicht mit seiner rauhen, schwieligen Hand. »Sie haben versucht, mich umzubringen ...«, murmelte er schließlich.
    »Wer?« Gern hätte sie seinen Blick erwidert, aber er schaute bereits wieder hinaus aufs Meer.
    »Dieselben Menschen, die die Mers töten wollten.« Seine Züge verhärteten sich. »Vermutlich sogar diejenigen, die mir heute abend zu meiner Rückkehr gratulierten und mir am liebsten die Stiefel geleckt hätten. Sie hatten nicht den Einfluß oder den Mut – mich offen zu ermorden. Deshalb verfrachteten sie mich an diesen Ort ...« Er brach ab. »Und hofften, die Zeit würde das Problem für sie erledigen. Aber du hast mir zum zweitenmal das Leben gerettet.« Seine Miene erhellte sich, und er drückte ihr einen zärtlichen, brüderlichen Kuß aufs Haar.
    Sie gab keine Antwort, und sie rührte sich nicht; ihr gefühlloser Körper konnte nicht reagieren. Sie dachte daran, wie schmal die Grenzlinie zwischen Leben und Tod war, und sie erinnerte sich an die vielen Dinge, die sich nicht mehr ändern ließen.
    »Mond ...« In einer plötzlichen Anwandlung von Leidenschaft schloß er sie in die Arme. »Es tut mir leid, es tut
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher