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Elfenblick

Elfenblick

Titel: Elfenblick
Autoren: Katrin Lankers
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»Margarethe-Elisabeth, würdest du die Güte besitzen, dich aus deinem Bett zu erheben und unseren Frühstückstisch mit deiner Anwesenheit zu beehren? Und zwar F, L, O, Doppel-T!«
    Die Stimme ihrer Mutter schrillte die Treppe herunter und drang nur unzureichend gedämpft durch die Zimmertür. Mageli wälzte sich von der linken auf die rechte Seite und zog sich die Decke über den Kopf. Darunter war es wunderbar warm und roch ein wenig muffig nach Schlaf. Sie atmete tief ein, hielt die Luft einen kurzen Augenblick an und stieß sie dann wieder aus. Das Geräusch kam einem Seufzen verdächtig nahe. Mageli kniff die Augen fest zusammen und versuchte vergeblich, einen Zipfel von dem Traum zu erhaschen, aus dem die Stimme ihrer Mutter sie herausgerissen hatte.
    Es musste ein schöner Traum gewesen sein, denn Mageli war mit einem angenehmen Gefühl aufgewacht. Leider war dieses Gefühl genauso schnell verschwunden wie die Erinnerung an den Traum.
    »Raus aus den Federn!«, forderte Linda vom Treppenabsatz. Es klang so laut, als stünde sie direkt neben dem Bett. Mageli war völlig schleierhaft, wo ihre Mutter so früh am Morgen die Energie hernahm, so energisch zu schreien.
    Vorsichtig blinzelte Mageli unter der Decke hervor, um einen Blick auf ihren Wecker zu werfen. Schon nach sieben. Mist! Sie hatte das Klingeln mal wieder überhört. Jetzt war es definitiv zu spät, um sich noch einmal umzudrehen. Sonst war ihr nicht nur der Zorn ihrer Mutter sicher, sondern auch ein Eintrag im Klassenbuch, weil sie schon wieder zu spät kam.
    Kräftig strampelte Mageli die Decke weg und setzte sich auf die Bettkante. Sie langte zum Nachttisch und knipste die kleine Lampe an. Obwohl es Hochsommer war, drang um diese Tageszeit kaum Licht durch die schmalen Fenster knapp unterhalb der Zimmerdecke. Das war einer der Nachteile, wenn man ein Zimmer im Keller bewohnte.
    Mit den Füßen angelte sie unter dem Bett nach ihren Socken, die Shakespeare abends dort versteckt hatte. Die Klamotten, die sie gestern getragen hatte, lagen in einem Haufen auf dem Boden. Mageli schnappte sich ihre dunkelblaue Lieblingsjeans und schnupperte daran. Gut, die ging noch. Das T-Shirt hingegen konnte sie eindeutig nicht mehr anziehen, es hatte Flecken. Ohne genau hinzugucken, griff Mageli ein frisches Shirt aus dem Schrank und stellte erst beim Blick in den Spiegel fest, dass sie ein knallrotes erwischt hatte. Darin sah sie noch blasser aus, als sie ohnehin schon war. Na, egal! Mit gespreizten Fingern kämmte sie durch ihre weißblonden Haare, die ihr bis zur Taille fielen, und zog zwei dicke Strähnen über die Schultern nach vorn, sodass sie die Ohren und einen Teil ihres Gesichts verdeckten.
    Mageli schnappte sich ihren Rucksack vom Schreibtischstuhl und warf ein paar Schulbücher, Hefte und ihr Mäppchen hinein. Schnell riss sie noch ein Blatt von dem Kalender über ihrem Schreibtisch. Das ist heute nicht dein Tag, verkündete ein Cartoonmännchen mit breitem Grinsen. Mageli konnte darüber nur müde lächeln. Es war jeden Tag das gleiche Männchen und jeden Tag der gleiche Spruch. Als Rosann ihr den Kalender im vergangenen Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte, fand Mageli ihn noch irre witzig. Doch mittlerweile hatte sie festgestellt, dass er zu sehr der Wahrheit entsprach.
    Sie knüllte das Kalenderblatt zusammen und warf es aus dem Handgelenk in Richtung Papierkorb. Es verfehlte das Ziel um mindestens zwanzig Zentimeter und landete auf dem Teppichboden. Das war ein echt schlechter Tag, wenn ihr nicht mal eine so lächerliche Übung gelang. Mageli zuckte mit den Schultern, verzog den Mund und wandte sich zur Tür.
    Eigentlich wollte sie sich in der Küche nur schnell eine Banane nehmen und verschwinden, doch ihre Mutter machte den Plan zunichte.
    »Setz dich ordentlich an den Tisch und iss ein vernünftiges Frühstück wie deine Brüder auch«, sagte Linda. Mageli verdrehte die Augen, hockte sich aber an den großen runden Holztisch, zog eine Schale heran und füllte sie mit Cornflakes. Sie goss Milch aus dem blauen Krug mit den weißen Blümchen darüber und schob schnell den ersten Löffel in den Mund. Es hatte einfach keinen Sinn, sich schon morgens mit ihrer Mutter anzulegen. Der Tag war dafür noch lang genug!
    »Du könntest zumindest ›Guten Morgen‹ sagen.«
    »Guten Morgen, Linda.« Mageli betonte jedes Wort, vor allem das letzte. Ihre Mutter zuckte zusammen. Seit etwa einem Jahr nannte Mageli sie beim Vornamen, anstatt »Mutti« zu ihr zu
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