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The Forest - Wald der tausend Augen

Titel: The Forest - Wald der tausend Augen
Autoren: Carrie Ryan
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Gott glaube? Ich warte ab, doch während die Schwestern Gebete murmeln und meinen Körper schrubben, passiert nichts. Durchs Wasser und an den Armen der Schwestern vorbei kann ich sehen, wie Jed aus dem Münster geleitet wird.
    Die Schwestern ziehen mich aus dem heiligen Wasser, meine Augen brennen und mein langes Haar liegt wie ein Spinnennetz über meinem Gesicht, ich pruste und huste. »Du bleibst hier in den Mauern des Münsters«, teilen mir die Schwestern mit. »Wir können nicht zulassen, dass du zurück an den Zaun gehst.«
    Das verstehe ich, und ich weiß, ich könnte noch so sehr protestieren, sie würden nicht von ihrem Standpunkt abweichen.Trotzdem ärgert es mich, dass sie glauben, ich wäre so dumm, meiner Mutter hinterherzugehen.
    Sie existiert nicht mehr.

    Irgendwer legt mir eine Decke über die Schultern, und ich werde einen Korridor entlanggeführt, den ich noch nie bemerkt habe, dann geht es Stufen hinunter in einen Raum mit Steinmauern, einem Steinfußboden und einer Pritsche und einem Fenster mit Blick auf den Friedhof und den Wald dahinter. Ich möchte lachen, heiser und kehlig. Wenn sie solche Angst haben, ich könnte etwas Drastisches tun, nachdem ich den Tod meiner Mutter mit angesehen habe, warum weisen sie mir dann ein Zimmer mit Blick auf den Ort zu, an dem sie sich gewandelt hat? Die Tore, durch die sie gezerrt wurde, kann ich deutlich erkennen, und ich kann sogar ein paar Ungeweihte sehen, die sich gegen den Zaun drücken. Ihr Stöhnen dringt schwach durch das geöffnete Fenster.
    »Warum darf ich nicht nach Hause gehen?«, frage ich, als sie die Tür hinter mir schließen.
    Die Älteste, Schwester Tabitha, hält auf der Schwelle inne. »Es ist besser, wenn du hierbleibst.«
    »Aber was ist mit meinem Bruder?« Ich verschränke die Arme über der Brust, berge die Ellenbogen in meinen Händen und mache mich ganz klein.
    Sie antwortet nicht. Dann geht die Tür zu, der Riegel wird vorgeschoben und ich bin allein mit dem Klagen der Ungeweihten.
    Eine Weile beobachte ich, wie die Sonne über den Himmel zieht. Mir fällt auf, dass die Ungeweihten in der Hitze des Tages ihre Posten am Zaun aufgeben und sich in die Wälder zurückziehen, sie schlurfen davon und sinken in eine Art ewigen Winterschlaf, den sie nur unterbrechen,
wenn sie menschliches Fleisch in ihrer Nähe wittern.
    Ich behalte die Zäune im Auge. Ob ich vielleicht meine Mutter sehe? – Aber nichts.

    In dieser Nacht gibt es keinen Mond. Ich beobachte, wie die Sterne die dunkle Leere füllen. Schwer und tief kriechen Wolken heran, bald ist draußen nichts mehr zu sehen, und ich gehe zu meiner Pritsche und setze mich hin, ohne mir die Mühe zu machen, die Kerze anzuzünden, die auf dem Tisch neben der Tür steht.
    Ich will schlafen, Träume sollen mich aus dieser Welt herausziehen und in Vergessen hüllen, die Erinnerungen zur Ruhe bringen, die um mich herumwirbeln, und diesem Schmerz, der mich verzehrt, ein Ende bereiten.
    Ein schmaler Lichtstreifen dringt unter der hölzernen Tür herein, ich kann die Wände um mich herum gerade noch wahrnehmen. Irgendwo zirpt eine Grille. Ich wickele Schultern und Kopf in die Decke, ziehe die Knie an die Brust und schluchze lautlos nach meiner Mutter.

    Am nächsten Tag brennen meine Augen vor Erschöpfung. Ich verfolge, wie die Sonne über den Boden kriecht, achte auf nichts als das Licht, das sich langsam immer weiter von mir entfernt. Jemand bringt etwas zu essen und einen
Krug Wasser, aber mir ist das egal. Später kommt Schwester Tabitha. Sie sagt, sie wolle nach mir schauen, aber ich weiß, sie will sich ein Bild von meinem Geisteszustand machen. Sehen, ob ich unter der Last des Todes meiner Eltern zusammengebrochen bin. Und so nimmt der Tag seinen Lauf. Essen, Schwester Tabitha, Wasser, Schwester Tabitha und so weiter und so weiter.
    Ein kleiner Teil in mir will rebellieren, sich aus diesem Raum befreien.Wegrennen und mit meinem Bruder trauern. Aber ich bin zu erschöpft, mein Körper will sich nicht von der Stelle rühren. In diesem Raum habe ich Wärme und Essen und ich bin allein, muss nicht auf anklagende Fragen oder Blicke reagieren. Ich muss nicht erklären, warum meine Mutter allein war, warum ich nicht bei ihr war.
    Stattdessen kann ich die Zeit dazwischen mit Erinnerungen füllen. Mit geschlossenen Augen und schlaffem Körper liege ich auf dem Boden, versuche, die Hände meiner Mutter in meinem Haar zu spüren, während ich im Kopf ein ums andere Mal die Geschichten wiederhole,
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