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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist
Autoren: John Updike
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diesem Schulsystem tätig ist, sieht alt und müde aus. Er hat Tränensäcke unter den Augen, sein schütteres Haar ist ungekämmt, und ein paar Strähnen stehen ihm wirr vom Kopf ab. Bei seinem plötzlichen Erscheinen fährt Ahmed zusammen, wie von Gewissensbissen überkommen: Später in der Woche hat er einen Termin bei Mr. Levy, um mit ihm seine Zukunft nach dem High-School-Abschluss zu besprechen. Ahmed braucht eine Zukunft, das weiß er, aber sie kommt ihm unwirklich vor, und sie weist seine Annäherungsversuche ab. Die Leitung ist Leitung Gottes, heißt es in der dritten Sure.
    Tylenol und seine Gang werden ihm von jetzt an auflauern. Nachdem der Quälgeist mit dem eisernen Daumen so ziemlich aufgelaufen war, würde es sich mit weniger als einem blauen Auge, einem ausgeschlagenen Zahn oder gebrochenen Finger nicht zufrieden geben – es musste zu sehen sein. Ahmed weiß, dass es Sünde ist, eitel auf die äußere Erscheinung Wert zu legen: Eigenliebe ist eine Form des Wetreiferns mit Gott, und Gott duldet das nicht. Wie aber kann ein Junge umhin, seine herangereifte Männlichkeit zu lieben, seine lang gewordenen Glieder, seinen vollen, glänzenden Haarschopf, seine makellose, beigefarbene Haut, heller als die seines Vaters, jedoch nicht so sommersprossig und fleckig rosa wie die seiner rothaarigen Mutter und die der Wasserstoffblondinen, die im Weißbrot essenden Amerika als Inbegriff der Schönheit gelten? Obwohl Ahmed die verweilenden, interessierten Blicke der dunkelhäutigen Mädchen, von denen er an Central High umgeben ist, als ungesittet und unrein meidet, möchte er seinen Körper doch nicht verunstaltet sehen. Er möchte ihn so bewahren, wie der Schöpfer ihn geschaffen hat. Tylenols Feindschaft ist ein weiterer Grund, diese Höllenburg zu verlassen, wo die Jungen andere nur zum Spaß quälen und verletzen und die ungläubigen Mädchen hautenge Hüfthosen tragen, die fast - bis auf einen Zentimeter, hat Ahmed geschätzt - so tief sitzen, das sie den Blick auf die obersten Schamhaarlöckchen freigeben. Die ganz schlimmen Mädchen, die bereits durch und durch verdorbenen, haben Tattoos an Stellen, an denen nur ihre Freunde sie zu sehen bekommen und in die der Tätowierer seine Nadel höchst behutsam stechen musste. Die teuflischen Verrenkungen nehmen kein Ende, sobald sich Menschen frei fühlen, mit Gott zu konkurrieren und sich selbst zu erschaffen.
    Ahmed hat nur noch zwei Monate Schulzeit vor sich. Hinter den Backsteinmauern, den hohen, vergitterten Fenstern liegt Frühling in der Luft. Die Kunden von Shop-a-Sec erledigen ihre armseligen Einkäufe neuerdings mit guter Laune und wiedererwachter Redseligkeit. Ahmeds Füße fliegen über die alte Aschenbahn der Schule, als träfe jeder seiner Schritte auf eine Feder. Als er auf dem Gehweg stehen geblieben war, um über die gewundene Spur des versengten und verschwundenen Wurms zu rätseln, brachten rings um ihn her junge grüne Sprösslinge, Knoblauch, Klee und Löwenzahn, die vom Winter erschöpften Grasflecken zum Leuchten, und Vögel erkundeten in flinken, aufgekratzten Bögen die unsichtbare Substanz, die sie trug.
     
    Jack Levy wacht jetzt, da er dreiundsechzig ist, zwischen drei und vier am Morgen auf, den Geschmack von Angst im Mund, den, während er träumte, schleppende Atemzüge ausgetrocknet haben. Jack Levys Träume sind düster vollgesogen mit dem Elend der Welt. Er liest die an mangelnden Anzeigen sterbende Lokalzeitung New Prospect Perspective und die New York Times oder Post, wenn jemand sie im Lehrerzimmer liegen gelassen hat, und – als hätte er damit noch nicht genug von Bush, Irak und hiesigen Morden, solchen in Queens und East Orange, sogar an Kindern von zwei, vier oder sechs Jahren, so jung, dass es ihnen wie Blasphemie vorkäme, sich lauthals gegen die Mörder, ihre Eltern, zur Wehr zu setzen, so wie es Blasphemie gewesen wäre, hätte Isaac sich Abraham widersetzt – am Abend zwischen sechs und sieben wendet sich Levy, während die korpulente Frau, die Bestandteile des Abendessens vom Kühlschrank zum Mikrowellenherd trägt, sich immer wieder vor dem kleinen Bildschirm des Fernsehers in der Küche vorbeischiebt, der Nachrichtenzusammenfassung aus dem Großraum New York und den Nachrichtensprechern der Networks zu, bis ihn die Werbespots, die er alle bereits des Öfteren gesehen hat, ihn so aufregen, das er das elende Gerät abstellt. Über die Nachrichten hinaus hat Levy eigenes Unglück zu ertragen, Unglück, das er
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