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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist
Autoren: John Updike
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hastiges Begräbnis im Leichentuch, wenn man stirbt, keine Heiligen, kein Leben nach dem Tod, nur lebenslange, loyale Plackerei für den Tyrannen, der von Abraham verlangt hatte, ihm seinen einzigen Sohn als Brandopfer darzubringen. Der arme Isaak, dieser vertrauensselige Esel, der fast von seinem eigenen Vater getötet worden wäre, wurde als alter blinder Mann auch noch von seinem Sohn Jakob und seiner eigenen, verschleiert aus Paddan-Aram herbeigeführten Frau Rebekka um seinen Segen betrogen. Wenn man sämtliche Regeln befolgte – und für die orthodoxen Juden war die Liste der Regeln lang –, erhielt man dafür in jüngster Zeit einen gelben Stern und eine Karte einfache Fahrt in die Gaskammern. Nein, danke: Jack Levy fand ein halsstarriges Vergnügen darin, einer der halsstarrigen Neinsager des Judentums zu sein. Er hatte seine Umgebung darin bestärkt, «Jacob» in «Jack» zu verwandeln, und sich der Beschneidung seines Sohnes widersetzt, obwohl ein aalglatter weißer Protestant von Krankenhausarzt Beth dazu überredete, «aus rein hygienischen Gründen»; Studien hätten gezeigt, behauptete er, dass dadurch für Mark das Risiko sinke, sich mit Geschlechtskrankheiten zu infizieren, und für seine Partnerinnen dasjenige, an Gebärmutterhalskrcbs zu erkranken. Da hatten sie einen Neugeborenen vor sich, gerade eine Woche alt, dessen Schwanz noch nicht größer war als ein Knopf auf dem gesäumten Nadelkissen seiner Eier, und schon wollten sie sein Sexleben verbessern und noch ungeborene weibliche Säuglinge vor Gefahren bewahren!
    Beth gehörte als Lutheranerin einem herzhaften christlichen Bekenntnis an, das mehr auf Glauben als auf Arbeit setzte und mehr auf Bier als auf Wein, und Jack erwartete, sie werde mäßigend auf seine sture jüdische Tugendhaftigkeit einwirken, die älteste der aussichtslosen Lehren, die in der westlichen Welt noch aktiv sind. Selbst der sozialistische Glaube seines Großvaters war ob der Entwicklung, die der Kommunismus in der Praxis genommen hatte, sauer und schal geworden. Jack hatte seine und Beth’ Vereheliehung – im ersten Stockwerk des lächerlichen Rathauses von New Prospect, in Anwesenheit lediglich ihrer Schwester sowie seiner Eltern – als tapfere Mesalliance betrachtet, als ein aus historischer Sicht belangloses Liebeskuddelmuddel wie so vieles, was sich im Jahr 1968 ereignete. Nach sechsunddreißig gemeinsam im Norden von New Jersey verbrachten Jahren haben sich die religiösen und ethnischen Unterschiede zwischen ihnen abgeschliffen und einer glanzlosen Gleichartigkeit Platz gemacht. Sie sind zu einem Paar geworden, das am Wochenende gemeinsam bei ShopRite und Best Buy einkauft und das unter einem vergnügten Abend eine Bridge-Runde an zwei Tischen versteht, zusammen mit drei anderen Paaren von der Schule oder der Clifton Public Library, wo Beth an vier Tagen in der Woche arbeitet. An einem Freitag oder Samstag versuchen sie sich gelegentlich aufzumuntern, indem sie abends essen gehen, abwechselnd in dem chinesischen oder dem italienischen Restaurant, wo sie Stammgäste sind und wo der lächelnde Oberkellner sie an einen Tisch führt, an dem Beth ein wenig mehr Platz hat, oder indem sie sich einen Film ansehen, wenn sie einen finden können, in dem nicht allzu viel Gewalt oder Sex vorkommt und der nicht gar zu offensichtlich die idiotische Zielgruppe der vierzehn- bis siebzehnjährigen männlichen Zuschauer anpeilt. Um die Zeit, als Beth und Jack sich kennen lernten und dann frisch verheiratet waren, brach das System der Studios zusammen, und atemberaubende, subversive Filme kamen heraus – Midnight Cowboy, Easy Rider, Bob & Caroline & Ted & Alice, The Wild Bunch, Uhrwerk Orange, Dirty Harry, Die Kunst zu lieben, Der letzte Tango in Paris, Der Pate, Die letzte Vorstellung, American Graffiti –, ganz zu schweigen von den späten Bergman-Werken und jenen französischen und italienischen Filmen, die noch voll existenzieller Angst, Schärfe und nationaler Eigenart waren. Gute Filme waren das gewesen, die ein Paar nicht geistig erschlaffen ließen. Damals hatte als Relikt von 68 noch das Gefühl in der Luft gelegen, die Welt könne von jungen Leuten nach deren Vorstellungen umgemodelt werden. In sentimentaler Erinnerung an jene damals gemeinsam erlebten Offenbarungen, als das gemeinsame Erleben in einer Ehe für sie beide neu gewesen war, stiehlt sich Jacks Hand im Kino auch heute noch manchmal zu Beth hinüber, findet auf ihrem Schoß ihre leicht gedunsene, heiße
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