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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist
Autoren: John Updike
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Matratze von ihrem Gewicht erlöst. Die Badezimmertür geht auf und zu, der Riegel klickt ein und springt wieder heraus, was Jack schon lange aufbringt. Als er noch jünger war, hätte er versucht, das zu beheben, doch seit Mark in New Mexico lebt und allenfalls einmal im Jahr nach Hause kommt, gibt es keinen sonderlichen Grund mehr, für Diskretion im Bad zu sorgen. Beth’ Verrichtungen bringen das Wasser in den Rohren im ganzen Haus zum Gurgeln.
    Eine Männerstimme, sehr schnell sprechend und mit Musik unterlegt, quillt vom Nachttisch her in den Raum; wenn Beth aufwacht, stellt sie als Erstes das verdammte Ding an und geht dann davon. Ständig nimmt sie elektronisch Verbindung mit einer Welt auf, in der sie beide physisch in zunehmender Isolation leben, ein alterndes Paar, dessen einziges Kind ausgeflogen ist. Dabei versetzt sie beide ihre Tätigkeit tagtäglich unter unbekümmert junge Leute. In der Bücherei war Beth gezwungen zu lernen, mit Computern umzugehen, nach Informationen zu suchen, sie auszudrucken und Halbwüchsigen auszuhändigen, die zu blöd sind, Bücher zu durchstöbern, soweit es zu ihren Fragen noch Bücher gibt. Jack hat versucht, die ganze Revolution zu ignorieren, er kritzelt die Aufzeichnungen zu seinen Beratungsgesprächen stur weiter mit der Hand und macht sich nur selten die Mühe, sich in den Computer einzuloggen, in dem die Daten der zweitausend Schüler von Central High gespeichert sind. Wegen dieses Versagens oder dieser Weigerung rügen ihn oft seine Berater-Kollegen, deren Zahl sich in dreißig Jahren verdreifacht hat, zumal Connie Kim tut es, eine zierliche Koreaamerikanerin, deren Spezialität Problemkinder sind, farbige Schulschwänzerinnen, und Wesley Ray James, ein ebenso korrekter wie effizienter Schwarzer, dessen noch nicht lange zurückliegenden sportlichen Leistungen ihm bei den Jungen helfen. Jack verspricht zwar, dass er sich ein oder zwei Stunden hinsetzen und die Daten nachtragen wird, aber Wochen vergehen, ohne dass er dafür Zeit findet. Es hat mit Vertraulichkeit zu tun; es liegt ihm nicht, den Inhalt vertraulicher Gespräche in ein elektronisches Netzwerk einzufüttern, das jedermann in der Schule zugänglich ist.
    Beth ist da mehr auf dem Laufenden, bereiter, nachzugeben und sich zu verändern. Sie hat damals die standesamtliche Trauung akzeptiert, obwohl sie ihm errötend gestanden hatte, es würde ihren Eltern das Herz brechen, wenn die Hochzeit nicht in ihrer Kirche stattfände. Was es ihrem eigenen Herz antun würde, hatte sie nicht gesagt, und er hatte erwidert: «Lass es uns schlicht halten. Ohne Hokuspokus.» Die Religion bedeutete ihm nichts, und als sie zum Ehepaar verschmolzen, bedeutete sie auch Beth nichts mehr. Heute fragt er sich, ob er ihr damit nicht etwas genommen hat, wie grotesk es auch sein mag, und ob sie sich dafür nicht durch ihr unaufhörliches Geplapper und Gcfutter Ersatz verschafft. Mit einem halsstarrigen Juden verheiratet zu sein, ist sicher nicht leicht.
    In Bahnen von Frotteestoff gehüllt, taucht sie aus dem Bad auf, sieht ihn stumm und reglos am Fenster des oberen Flurs stehen und ruft erschrocken aus: «Jack! Was ist mit dir?»
    Mit einem gewissen ehelichen Sadismus beschützt er seinen Trübsinn, indem er ihn nur halbherzig vor ihr verbirgt. Jack möchte Beth das Gefühl geben, sie sei an seinem Befinden schuld, obwohl der Verstand ihm sagt, dass dem nicht so ist. «Das Übliche», sagt er. «Ich bin wieder mal zu früh aufgewacht. Und konnte nicht wieder einschlafen.»
    «Das ist ein Anzeichen von Depressionen, haben sie neulich im Fernsehen gesagt. Oprah hatte eine Frau in der Sendung, die ein Buch dazu geschrieben hat. Vielleicht solltest du einen … ich weiß ja auch nicht, das Wort ‹Psychiater› macht jedem, der nicht reich ist, Angst, hat die Frau gesagt. Also, vielleicht solltest du einen Spezialisten für seelische Gesundheit konsultieren, wenn es dir so elend geht.»
    «Einen Weltschmerz-Spezialisten.» Jack wendet sich um und lächelt sie an. Obwohl auch sie über sechzig ist – einundsechzig, zwei Jahre jünger als er –, ist ihr Gesicht faltenlos; was bei einer schlanken Frau tiefe Furchen wären, sind auf ihrem runden Gesicht zarte Striche; das Fett glättet ihre Haut und verleiht ihr eine mädchenhafte, zarte Straffheit. «Nein, danke, Liebes», sagt er. «Ich gebe den ganzen Tag lang weise Sprüche von mir, da schaffe ich es nicht, selbst welche entgegenzunehmen. Ich habe zu viele Antikörper.»
    Wenn er
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