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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist
Autoren: John Updike
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I
    Teufel, denkt Ahmed. Diese Teufel wollen mir meinen Gott nehmen.
    Den ganzen Tag wiegen sich an der Central High School die Mädchen, verhöhnen einen, stellen ihr verlockendes Haar und ihre weichen Körper zur Schau. Ihre nackten, mit funkelnden Nabelpiercings und abenteuerlich tief ansetzenden lila Tattoos geschmückten Bäuche fragen: Gibt´s vielleicht sonst noch was zu sehen? Jungen mit stumpfen Augen stolzieren oder zotteln umher und tun mit ihren kantigen Killergesten und ihrem achtlosen, abschätzigen Lachen kund, dass es keine andere Welt gibt als diese hier – ein von Lärm erfüllter, schmutzabweisend gestrichener, von Metallspinden gesäumter Gang mit der weißen Wand am Ende, die so oft durch Graffiti geschändet und wieder übertüncht worden ist, dass es einem vorkommt, als rücke sie Millimeter um Millimeter näher.
    Die Lehrer, schlaffe Christen oder nichtpraktizierende Juden, halten im Unterricht demonstrativ zu Tugend und redlicher Selbstbeherrschung an, doch ihre unsteten Augen und leblosen Stimmen verraten ihren fehlenden Glauben. Sie werden von der Stadt New Prospect und dem Staat New Jersey dafür bezahlt, dass sie diese Dinge sagen. Es mangelt ihnen am wahren Glauben; sie sind nicht auf dem rechten Weg; sie sind unrein. Ahmed und die zweitausend anderen Schüler können sie nach der Schule auf dem rissigen, mit Abfall übersäten Parkplatz in ihre Autos huschen sehen wie Krebse, bleiche oder dunkle, die sich in ihre Schalen zurückziehen; sie sind Männer und Frauen wie alle anderen, voller Ängste und Gelüste und besessen von käuflichen Dingen. Als Ungläubige glauben sie, irdischen Besitz anzuhäufen und sich durch den flackernden Fernsehapparat zerstreuen zu lassen, verleihe Sicherheit. Sie sind Sklaven von Bildern, von falschen Bildern, die Glück und Reichtum vorgaukeln. Doch selbst wahrhafte Bilder sind sündige Nachahmungen Gottes, der allein erschaffen kann. Vor Erleichterung, ihren Schülern für einen weiteren Tag unbeschadet entkommen zu sein, schnattern die Lehrer, wenn sie sich auf den Fluren und auf dem Parkplatz voneinander verabschieden, zu laut, wie Trinker, deren Erregungspegel steigt. Die Lehrer lassen sich’s gut sein, wenn sie nicht in der Schule sind. Manche haben die geröteten Lider, den Mundgeruch und den schwammigen Körper von Leuten, die gewohnheitsmäßig zu viel trinken. Manche lassen sich scheiden; manche leben unverheiratet mit anderen zusammen. Ihr Leben außerhalb der Schule ist unordentlich, lüstern und zügellos. Die Regierung des Bundesstaats unten in Trenton und die satanische Regierung noch weiter unten, in Washington, bezahlt sie dafür, dass sie ihren Schülern Tugendhaftigkeit und demokratische Werte nahe bringen, doch die Werte, an die sie glauben, sind gottlos: Biologie, Chemie und Physik. Von deren Fakten und Formeln bestärkt, scheppern ihre falschen Stimmen durch die Klassenzimmer. Sie sagen, alles entsteht aus erbarmungslosen, blinden Atomen, die das kalte Gewicht von Eisen, die Durchsichtigkeit von Glas, die Reglosigkeit von Ton, die Erregung des Fleisches erzeugen. Elektronen strömen durch Kupferdrähte und Computerzugänge und sogar durch die Luft, wenn sie durch die Interaktion von Wassertröpfchen zum Blitzen gebracht werden. Nur was wir messen und aus den Messungen schließen können, ist wahr. Das Übrige ist der Traum, den wir Ich nennen.
    Ahmed ist achtzehn. Es ist Anfang April; wieder kriecht müdes Grün in die erdigen Risse der Stadt. Von seiner neu erlangten Höhe blickt Ahmed hinab und denkt, wenn die unsichtbaren Insekten im Gras ein Bewusstsein hätten wie er, dann wäre er für sie Gott. Im vergangenen Jahr ist er um fast acht Zentimeter auf einen Meter achtzig gewachsen – weitere unsichtbare, materielle Mächte, die ihn ihrer Willkür unterwerfen. Größer, glaubt er, wird er nicht werden, weder in diesem noch im nächsten Leben. Falls es ein nächstes gibt, raunt ein Teufel in ihm. Was außer den flammenden, göttlich inspirierten Worten des Propheten beweist schon, dass es ein nächstes Leben gibt? Wo würde es sich verbergen? Wer würde das Feuer der Hölle in alle Ewigkeit schüren? Welche nie versiegende Energiequelle würde den Überfluss des Paradieses speisen, die dunkeläugigen Huris dort nähren, die strotzenden Früchte zum Schwellen bringen, die Bäche und plätschernden Springbrunnen erneuern, an denen Gott, wie in der neunten Sure des Koran beschrieben, stets Wohlgefallen hat? Wo bliebe da das zweite
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