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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist
Autoren: John Updike
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«stemmen» muss, wie man heutzutage sagt – die Bürde des kommenden, des hinter all diesem Dunkel grauenden Tages. Angst und Ekel rumoren in ihm gleich den Bestandteilen einer dieser miesen Restaurantmahizeiten, wie sie einem heutzutage zugemutet werden – doppelt so viel an Essen, wie man braucht. Die Angst schlägt die Tür vor ihm wieder zu und wirft Levy in den Schlaf zurück, in das sich von Tag zu Tag verstärkende Gefühl, dass es für seinen Körper auf der Erde nichts weiter mehr zu tun gibt, als sich auf den Tod vorzubereiten. Seine Balz- und Paarungspflicht hat er erfüllt; er hat ein Kind gezeugt; er hat gearbeitet, um dieses Kind, den kleinen Mark mit seinen scheu blickenden Augen und der feuchten Unterlippe, zu ernähren und mit all dem Ramsch auszustatten, den er gemäß der diktatorischen Kultur der Zeit haben musste, um nicht hinter seine Altersgenossen zurückzufallen. Jetzt bleibt Jack Levy nur noch die Pflicht, zu sterben und damit auf diesem überfrachteten Planeten ein bisschen Platz, ein bisschen Luft freizumachen. Diese Aufgabe hängt dicht über seinem schlaflosen Gesicht wie ein Spinngewebe mit einer reglosen Spinne in der Mitte.
    Seine Frau Beth, ein Wal von weiblichem Wesen, das durch seine Speckschicht zu viel Wärme absondert, atmet hörbar neben ihm. Ihr unermüdlich scharrendes Schnarchen ist die Fortsetzung ihrer Monologe während des Tages. Wenn er sie mit der unterdrückten Wut vergeblichen Tuns mit dem Knie oder Ellbogen anstößt oder ihr sanft die Hand auf eine unter dem hochgerutschten Nachthemd entblößte Pohälfte legt, dann verstummt sie brav, und dann befürchtet Jack, sie geweckt und das unausgesprochene Gelübde gebrochen zu haben, das zwischen zwei Menschen besteht, die irgendwann einmal, vor wie langer Zeit auch immer, übereingekommen sind, ein Bett zu teilen. Er möchte nur, dass ihr Schlaf so leicht wird, dass ihre Atemzüge nicht mehr geräuschvoll in ihrer Nase vibrieren. Es gleicht dem Stimmen der Geige, die er als Junge gespielt hat. Ein neuer Heifetz, ein neuer Isaac Stern – hatten sich seine Eltern das von ihm erhofft? Er hatte sie enttäuscht, und das war einer der Punkte, an denen sein Unglück mit dem der Welt zusammenfiel. Seine Eltern waren tief bekümmert gewesen. Trotzig hatte er ihnen erklärt, er gehe nicht mehr zum Geigenunterricht. Das Leben in den Büchern und auf der Straße hatte ihm mehr bedeutet. Da war Jack elf oder zwölf, und er hat die Geige seither nie wieder angerührt, obwohl er manchmal – wenn er im Autoradio einen Fetzen von Beethoven, ein Mozart-Konzert oder Dvořáks Zigeunermusik hört, die er einst in einer Bearbeitung für Schüler geübt hat – zu seiner Überraschung merkt, wie seine linke Hand die Griffe wiederzufinden sucht und auf dem Lenkrad zuckt wie ein sterbender Fisch.
    Warum sich geißeln? Er hat sich ganz ordentlich geschlagen, mehr als ordentlich sogar: mit Auszeichnung von Central High abgegangen, Abschlussjahrgang 59, als einem die Schule noch nicht wie ein Gefängnis vorkam, als man noch fleißig lernen und das Lob der Lehrer mit Stolz entgegennehmen konnte; als Student emsig zum Community College von New York gependelt, dann die Wohnung in SoHo, die er mit zwei jungen Männern und einem Mädchen geteilt hatte, das seine Zuneigung mal diesem, mal jenem von ihnen gewährte; nach dem College-Abschluss zwei Jahre in der Armee, zu der Zeit, als es noch die Wehrpflicht gab und bevor der Vietnam-Konflikt heißlief; Grundausbildung in Fort Dix, Schreibstubenhengst in Fort Meade, Maryland, immerhin so weit südlich der Mason-Dixon-Linie, dass es dort von antisemitischen Südstaatlern wimmelte; das letzte Jahr dann in Fort Bliss in El Paso, in der Personalabteilung, wo sie die passenden Leute für bestimmte Aufgaben ausgesucht hatten und wo er begonnen hatte, Teenager zu beraten; danach das Master-Studium an der Rutgers University, finanziert mit den bereits gekürzten Mitteln aus dem gesetzlichen Weiterbildungsprogramm für GIs; seitdem einunddreißig Jahre High-School-Lehrer für Geschichte und Gemeinschaftskunde, die letzten sechs Jahre dann ausschließlich als Schülerberater tätig. Die bloßen Fakten seiner Laufbahn gaben ihm das Gefühl, in eine Falle geraten zu sein, in einen Lebenslauf, so dicht verschlossen wie ein Sarg. Im Dunkeln bekam er nun nur noch mühsam Luft, und verstohlen drehte er sich von der Seitenlage auf den Rücken, lag nun wie eine katholische Leiche bei der Aufbahrung.
    Wie laut Bettlaken
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