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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist
Autoren: John Updike
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sein können, so nah am Ohr, wie brechende Wellen! Er möchte Beth nicht wecken. Wo er schier am Ersticken ist, kann er nicht auch noch mit ihr zurande kommen. Einen Moment lang mildert die neue Lage seine Pein, wie der erste Schluck aus einem Glas, bevor die Eiswürfel den Whisky verwässern. Auf dem Rücken liegend, erfüllt ihn die Ruhe eines Toten, nur dass er nicht gleich über der Nasenspitze einen Sargdeckel hat. Es ist still auf der Welt – der Berufsverkehr hat noch nicht eingesetzt, die Nachtschwärmer mit ihren kaputten Auspuffrohren haben endlich ins Bett gefunden. Jack hört einen einsamen Laster vor der blinkenden Ampel an der nächsten Kreuzung den Gang wechseln und, zwei Zimmer weiter, Carmela, die kastrierte, klauenlose Katze der Levys, auf weichen Pfoten einen rastlosen Galopp hinlegen. Ihrer Krallen beraubt, wie sie ist, kann man sie nicht ins Freie lassen, denn die Katzen aus der Nachbarschaft könnten sie umbringen. Im Haus gefangen, verbringt sie den Tag größtenteils schlafend unter dem Sofa, doch des Nachts, wenn es im Haus still geworden ist, halluziniert sie anscheinend und besteht in ihrer Phantasie die animalischen Abenteuer, die Kämpfe und das Davonkommen, was sie zu ihrem eigenen Wohle nie erleben darf. So trostlos ist die sinnlich wahrnehmbare Umwelt in diesen Stunden vor dem Morgengrauen, und so allein kommt sich Jack Levy vor, dass ihn der leise Aufruhr einer wahnsinnigen, kastrierten Katze beinahe so weit besänftigt, dass sein Verstand, seiner Wächterpflichten enthoben, in den Schlaf zurückgleitet.
    Und doch liegt er, von einer quengelnden Blase wachgehalten, da, wie einem Übelkeit erregenden Ausbruch von Radioaktivität dem Eindruck ausgeliefert, sein Leben sei ein überflüssiger Fleck – ein Klecks, ein lang nachwirkender Fehler – auf der sonst makellosen Fläche dieser unmenschlichen Stunde. Er hat im finsteren Wald der Welt den rechten Weg verpasst. Aber gibt es denn einen rechten Weg? Oder ist es bereits ein nicht wieder gutzumachender Fehler, am Leben zu sein? In der abgespeckten Fassung von Geschichte, wie er sie lange Schülern vermittelt hatte, die Mühe hatten zu glauben, dass die Welt nicht mit ihrer eigenen Geburt und der Verbreitung von Computerspielen begonnen hatte, erreichten selbst die größten Männer nichts als ein Grab; ihre Visionen blieben unerfüllt – Karl der Große, Karl V., Napoleon, der unaussprechliche, jedoch recht erfolgreiche und in gewissen arabischen Ländern noch immer bewunderte Adolf Hitler. Geschichte ist eine Maschine, welche die Menschheit unablässig zu Staub zermahlt. Die Beratungsgespräche hallen in Jacks Kopf nach als kakophonischer Wust von Missverständnissen. Er sieht sich als erbärmliche ältliche Gestalt an einem Ufer, die einer Flotte von jungen Leben Warnungen zuruft, während sie in den fatalen Sumpf der Welt hineingleiten – der Welt mit ihren schrumpfenden Ressourcen, ihren schwindenden Freiheiten, ihrer gnadenlosen Werbung und ihrer absurden, auf Bier, Musik und unglaublich dünnen, fitten jungen Frauen beruhenden Popularkultur.
    Oder waren die meisten Frauen in ihrer Jugend einmal so dünn gewesen wie die Geschöpfe in den Werbespots für Bier und Coke, selbst Beth? Wahrscheinlich, aber sich daran zu erinnern, fällt ihm so schwer, wie den Bildschirm im Auge zu behalten, wenn sie davor hin- und hergeht, um das Abendessen zusammenzutragen. Sie hatten sich während seiner anderthalb Jahre an der Rutgers University kennen gelernt. Beth war ein Mädchen aus Pennsylvania, aus der East-Mount-Airy-Gegend Philadelphias, das Bibliothekswissenschaften studierte. Ihre Leichtigkeit hatte ihn angezogen, ihr Lachen, ihr listiges Geschick, alles, sogar sein Werben um sie, ins Komische zu ziehen. Was für männliche Babys würden wir wohl haben? Ob sie halb beschnitten auf die Welt kommen? Sie, Elizabeth Fogel, war Deutschamerikanerin und hatte eine weniger liebenswerte ältere Schwester namens Hermione. Er war Jude, jedoch kein stolzer, vom Alten Bund bestärkter Jude. Sein Großvater hatte in der Neuen Welt jegliche Religion abgeworfen und gläubig auf eine Welt nach der Revolution gesetzt, in der die Mächtigen nicht mehr mittels Aberglauben herrschen konnten und wo ein gut gedeckter Tisch und ein solides, schützendes Dach über dem Kopf die unzuverlässigen Versprechen eines unsichtbaren Gottes ersetzten.
    Nicht dass der Gott der Juden je zu großartigen Versprechen geneigt hätte – ein zerbrochenes Glas zur Hochzeit, ein
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