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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist
Autoren: John Updike
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mit sich führen. Ihre schrille Fröhlichkeit grenzt an Trotz. Aus ihren gackernden, lärmenden Stimmen dröhnt dörfliche Kumpanei, die überschwängliche wechselseitige Beachtung von Menschen, die wenig zu tun und keine fernen Ziele haben.
    Nach dem Bürgerkrieg hielt in New Prospect das Streben nach Pracht Einzug, und ein stattliches Rathaus wurde errichtet, ein ausladendes, mit Türmchen verziertes, maurisch inspiriertes Gebilde aus Rundbögen und kunstvollen Schmiedearbeiten im Rokokostil, gekrönt von einem grandiosen Turm mit vielen Luken, dessen gewölbte Außenseite wie Fischschuppen vielfarbige Schindeln bedecken und der vier weiße, mit römischen Ziffern versehene Uhrblätter trägt, jedes von der Größe eines Brunnens. Die breiten kupfernen Dachrinnen und Fallrohre, die von den Fertigkeiten der damaligen Metallhandwerker künden, sind im Lauf der Zeit minzgrün geworden. Dieses Gebirge des Bürgersinns, dessen wichtigste bürokratische Funktionen längst in flachere, modernere, weniger imposante, jedoch klimatisierte und leichter beheizbare Gebäude dahinter verlagert worden sind, wurde vor kurzem, nach langem Schieben und Zerren, in den Rang eines nationalen Architekturdenkmals erhoben. Es steht in Sichtweite der High School, eine Querstraße von ihr entfernt, und das einst großzügig bemessene Grundstück, auf dem es steht, ist infolge von Straßenverbreiterungen und unverfrorenen Immobiliengeschäften, ermöglicht durch bestochene Beamte, stark geschrumpft.
    Am östlichen Rand des Sees von Schutt, wo befriedete Parkplätze sich mit dem kabbeligen Wellengang abgerissenen Mauerwerks abwechseln, trägt eine dickwandige Kirche aus Eisenstein einen wuchtigen Kirchturm und lockt auf einem gesprungenen Anzeigebrett mit ihrem preisgekrönten Gospel-Chor. Die Fenster dieser Kirche, auf denen Gott blasphemischerweise ein Gesicht, gestikulierende Hände, Füße mit Sandalen und farbige Gewänder zugewiesen werden – kurz, ein menschlicher Körper samt allem, was daran unrein und beschwerlich ist –, sind vom Fabrikruß von Jahrzehnten geschwärzt und durch schützende Drahtgitter noch weiter unkenntlich gemacht. Heute zieht die religiöse Bildlichkeit Hass auf sich, wie in den Reformationskriegen. Die gesittete Glanzzeit der Kirche, als fromme weiße Bürger ihre Bänke füllten, ist ebenfalls lange vorbei. Nun bringen afrikanisch-amerikanische Gemeindemitglieder ihre unordentliche Schrei-Religion hierher, und ihr preisgekrönter Chor zersetzt ihnen das Hirn, bis sie in eine rhythmische Verzückung geraten, die ebenso illusorisch ist wie (Scheich Rashid hat höhnisch die Analogie hervorgehoben) die schlurfende, brabbelnde Trance brasilianischer Candomble. An diesem Ort singt Joryleen.
     
    An dem Tag, nachdem sie Ahmed eingeladen hat, sie im Chor singen zu hören, steuert auf dem Schulflur ihr Freund, Tylenol Jones, auf Ahmed los. Tylenols Mutter hatte das Wort während ihrer Schwangerschaft einmal in einem Werbespot für Schmerzmittel gesehen, und der Klang hatte ihr gefallen. «He, du, Araber», sagt Tylenol. «Du bist Joryleen quer gekommen, hör ich.»
    Ahmed versucht, in der Sprache des anderen zu reden. «Quer? Ich? Nicht die Bohne. Wir haben ein bisschen palavert. Sie hat mich angequatscht.»
    Genau abschätzend streckt Tylenol die Hand aus, legt sie dem schmächtigeren Jungen auf die Schulter und bohrt seinen Daumen in die empfindliche Stelle unter dem Schultergelenk. «Sie sagt, du respektierst ihre Religion nicht.» Sein Daumen dringt tiefer, bis an Nerven, die Ahmed noch nie im Leben gespürt hat. Tylenol hat ein quadratisches Gesicht von der Farbe feuchter Möbelpolitur auf Nussbaumholz. Er ist Stürmer der Central-High-Football-Mannschaft und im Winter Turner an den Ringen, und daher sind seine Hände stark wie Eisen. Sein Daumen zerknittert Ahmeds gestärktes weißes Hemd. Mit einem ungeduldigen Schulterrucken versucht der größere Junge, die feindselige Hand abzuschütteln.
    «Sie hat die falsche Religion», erklärt er Tylenol, «und außerdem bedeutet sie ihr nichts, hat sie gesagt, von der blöden Chorsingerei mal abgesehen.» Der eiserne Daumen drückt weiter zu, doch aus einem Adrenalinschub heraus schlägt Ahmed mit der Handkante den dicken Muskelstrang weg.
    Tylenols Gesicht verdunkelt sich und kommt mit einem Ruck näher. «Komm du mir bloß nicht mit blöd, Araber - du bist ja selber so blöd, dass keiner was von dir will.»
    «Außer Joryleen», gibt Ahmed mit adrenalinverstärkter
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