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Das achte Opfer

Das achte Opfer

Titel: Das achte Opfer
Autoren: Andreas Franz
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Prolog
     
     
    Halb zehn. Große Pause. Es war stickig im Klassenzimmer, und alle strömten hinaus in die Gänge und hinunter auf den Pausenhof. Auch Carla, zwölf Jahre alt, einsfünfundfünfzig groß, mit noch sehr knabenhafter Figur und einem kindlich-naiven Gesichtsausdruck, graublauen Augen und schulterlangem, dunkelblondem Haar, stieg die Treppen hinab, ein Schulbrot, das ihre Mutter ihr am Morgen eingepackt hatte, in der linken Hand. Sie fühlte sich nicht sonderlich wohl, vor einem Monat hatte sie zum ersten Mal ihre Periode gehabt, die einhergegangen war mit heftigen Unterleibsschmerzen und Übelkeit; sie hatte zwei Tage dem Unterricht fernbleiben müssen. Glücklicherweise war sie frühzeitig von ihrer Mutter aufgeklärt worden, so daß dieses erste Mal nicht zu einem Horrortrip wurde; dennoch hatte sie Angst gehabt. Wovor genau, hätte sie nicht auszudrücken vermocht. Vielleicht, weil Blut ihr immer Angst machte, vielleicht, weil die Schmerzen so heftig waren, vielleicht aber auch nur vor dem Neuen, Unbekannten, das sie trotz aller Aufklärung noch nicht ganz verstand. Aus den Erzählungen ihrer Mutter entnahm sie lediglich, daß sie damit den ersten Weg zum Frauwerden beschritt. Und Frauwerden bedeutete, Kinder bekommen zu können, vorsichtig im Umgang mit Jungs und Männern zu sein, und, und, und …
    Sie hatte Hunger, aber keinen Appetit. Da waren wieder diese leichte, bohrende Übelkeit und das Ziehen in ihrem Bauch, und sie ahnte, daß es bald wieder soweit sein würde. Sie hielt das Brot eine Weile in der Hand, betrachtete es, während um sie herum geredet, gestritten, gelacht oder gebalgt wurde, Jungen die Mädchen hänselten, ein paar Lehrer als hilflose Aufpasser fungierten und die Sonne bereits jetzt am Morgen mit unbarmherziger Kraft von einem wolkenlosen, milchig-blauen Himmel schien. Sie stand einen Moment unschlüssig, ob sie essen sollte oder nicht, als sie von hinten angetippt wurde. Sie drehte sich um, ihre beste und auch einzige Freundin, die dreizehnjährige Sylvia, grinste sie an. »Na, auch keinen Hunger?«
    »Nee, nicht so richtig. Mir geht’s nicht so besonders. Hab Bauchweh.«
    »Kriegst du wieder deine Tage?« fragte Sylvia und legte einen Arm um Carlas Schultern.
    »Hmh, sieht so aus. Verdammter Mist.«
    »Ach komm, ist alles halb so schlimm. Ich hab den Scheiß schon seit zwei Jahren und komme inzwischen ganz gut damit zurecht.«
    »Hast du auch immer solche Schmerzen?«
    »Geht so. Ich hab ganz gute Tabletten dagegen. Damit läßt sich’s aushalten. Auf jeden Fall stirbt man nicht daran.«
    »Das weiß ich auch! Ist trotzdem ein blödes Gefühl.«
    Sie gingen ein Stück über den Hof, setzten sich auf eine der vielen Rundbänke. Carla nahm ihr Brot und warf es in den neben ihr stehenden Abfallkorb. Sie hatte die Beine eng geschlossen, die Hände gefaltet, den Blick zu Boden gesenkt. »Hör mal zu, Carla, ich hab da eine Idee. Am Samstag steigt bei Matti eine kleine Fete. Du kennst doch Matti, oder?«
    »Hab den Namen schon mal gehört, aber …«
    »Das ist der Dunkelhaarige da drüben am Geländer. Er istschon in der zehnten, und – na ja, er hat mich gefragt«, sagte sie lachend und zuckte mit den Schultern. »Du mußt dir mal vorstellen, ausgerechnet mich, ob ich nicht Lust hätte, auch zu kommen.« Sie machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Bei der Gelegenheit hat er mich auch gleich gefragt, ob ich dich nicht fragen will, ob du nicht auch Lust hättest …«
    Carla blickte erstaunt auf. »Was, ich?«
    »Ja, warum nicht du?«
    »Ich bin zwölf, wenn du das vergessen haben solltest.«
    »Na und? Ich bin dreizehn und gehe auch hin. Ich kann dir nur soviel verraten – was ich bis jetzt von Mattis Feten gehört habe, da soll’s ganz schön abgehen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Tolle Musik und so ’n Zeug. Der macht das regelmäßig, wenn seine Eltern mal wieder verreist sind. Was ist, kommst du mit?«
    »Weiß nicht. Ich glaube kaum, daß meine Eltern das erlauben.«
    »Und warum nicht? Du kannst ihnen ja sagen, daß du mit mir dorthin gehst und wir auch nicht länger als bis elf oder höchstens zwölf bleiben. Dein Vater oder meine Mutter können uns ja abholen. Das Wichtigste ist doch, daß die Alten wissen, wo wir sind. Dann machen sie sich auch keine Sorgen. Brauchen sie im übrigen auch nicht, ist alles ganz harmlos. Ich weiß auch schon von ein paar anderen, die hingehen.«
    »Mal sehen.«
    »Schau, heute ist Montag. Wenn du heute oder morgen deine Tage
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