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Terrorist

Terrorist

Titel: Terrorist
Autoren: John Updike
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East Main Street auf Höhe der Tilden Avenue aus über zwei verschiedene Treppen erreichte. In jeder der unterirdischen Toiletten hielt eine ältere Person die Schüsseln und Becken sauber; zu Beginn der sechziger Jahre wurde die Einrichtung geschlossen, nachdem sie zu einem übelriechenden Ort des Drogenhandels, homosexueller Kontakte und gelegentlicher Überfälle geworden war.
    Zweihundert Jahre zuvor hatte man die Stadt New Prospect getauft, weil sie einen so großartigen Blick auf den Wasserfall bot, jedoch auch wegen ihrer Zukunft, die man sich mit Inbrunst ausmalte. Der Fluss mit seinen pittoresken Kaskaden und strudelnden Stromschnellen, der sie durchfloss, würde Fabriken anziehen, glaubte man, als die Nation noch jung war, und nach vielen Fehlstarts und Bankrotten tat er dies schließlich auch – Webereien, Seidenfärbereien, Ledermanufakturen, Fabriken, die Lokomotiven herstellten, pferdelose Wagen und Kabel für die mächtigen Brücken, die sich über die Flüsse und Häfen der mittleren Atlantikküste spannten. Als das neunzehnte Jahrhundert ins zwanzigste mündete, gab es ausgedehnte, blutige Streiks; die Wirtschaft gewann nie wieder den Optimismus zurück, der den Emigranten aus Osteuropa, dem östlichen Mittelmeerraum und aus dem Nahen Osten half, Vierzehn-Stunden-Tage voll mühseliger, giftiger, ohrenbetäubender, monotoner Plackerei zu ertragen. Die Fabriken zogen nach Süden und Westen, wo die Arbeitskräfte billiger und fügsamer und die Transportwege für Eisenerz und Kohle kürzer waren.
    Die Menschen, die heute die Innenstadt bewohnen, sind in ihrer Mehrzahl braun, in sämtlichen Schattierungen dieser Farbe. Die wenigen verbliebenen weißen Geschäftsleute erzielen noch einen mageren Profit aus dem Verkauf von Pizza, Chili con Carne, bunt verpacktem Junkfood, Zigaretten und Lotterielosen, weichen jedoch mehr und mehr neu eingewanderten Indern und Koreanern, die sich bei Einbruch der Dunkelheit weniger gezwungen fühlen, in die noch gemischt bewohnten Randbezirke und Vororte der Stadt zu flüchten. Weiße Gesichter wirken in der Innenstadt zweifelhaft und schäbig. Spätabends, wenn ein paar schicke Folklore-Restaurants ihre Gäste aus den Vororten entlassen haben, halt schon einmal ein Streifenwagen, und weiße Fußgänger werden verhört, weil man sie für Dealer hält. Oder über die Gefahren dieser Gegend aufklären will. Ahmed selbst ist das Produkt einer rothaarigen amerikanischen Mutter irischer Abstammung und eines ägyptischen Austauschstudenten, dessen Vorfahren seit der Zeit der Pharaonen auf den heißen, schlammigen Feldern der überfluteten Nilufer gebräunt worden sind. Den Teint des Sprosses dieser Mischehe ließe sich als lohfarben bezeichnen, eine matte Nuance heller als beige; der seines Ersatzvaters Scheich Rashid ist von einem weißlichen Wachston, den er mit Generationen vielschichtig verhüllter jemenitischer Krieger teilt.
    Wo einst fünf Stockwerke hohe Kaufhäuser und die dicht gedrängten Kontore jüdischer und protestantischer Ausbeuter eine ununterbrochene Fassade aus Glas, Backstein und Granit bildeten, tun sich nun von Bulldozern gerissene Lücken auf, und die Sperrholzflächen, die einmal Schaufenster waren, sind mit einem Gewirr von Graffiti besprüht. In Ahmeds Augen behaupten die wulstigen Lettern der Graffiti, ihr aufgedunsenes Protzen mit dieser oder jener Bandenzugehörigkeit, eine Bedeutung, an der es den Tätern sonst erbärmlich mangelt. Diese Schmierereien sollen verlorenen jungen Männern, die im Morast der Gottlosigkeit versinken, eine Identität verleihen. Inmitten der Ruinen stehen einige wenige neue Kästen aus Aluminium und blauem Glas, Beschwichtigungszeichen der Fürsten des westlichen Kapitalismus – Niederlassungen von Banken, deren Zentralen in Kalifornien oder North Carolina liegen, und Außenposten der zionistisch beherrschten Bundesregierung, die mit Wohlfahrtsmaßnahmen und Anwerbung von Rekruten versucht, die Verarmten von Aufruhr und Plünderung abzuhalten.
    Und doch macht das Zentrum am Nachmittag einen festlichen, geschäftigen Eindruck: Auf East Main Street herrscht, zumindest ein Stück südlich und nördlich der Tilden Avenue, der Karneval des Müßiggangs, bevölkert von dem Gewimmel dunkelhäutiger, grell und bunt gekleideter Bürger, ein Mardi-Gras-Umzug von Kostümen, liebevoll komponiert von Menschen, deren Rechte kaum eine Fingerlänge über ihre Haut hinaus Geltung besitzen und die ihre dürftigen Vermögenswerte sichtbar
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