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Macabros 076: Ruf ins Vergessen

Macabros 076: Ruf ins Vergessen

Titel: Macabros 076: Ruf ins Vergessen
Autoren: Dan Shocker
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Nur wenige Fahrzeuge benutzten am Spätnachmittag die schmale,
kurvenreiche und holprige Straße an der Costa Brava.
    Paul Denner saß verkrampft und müde am Steuer. Man sah
dem Mann an, daß er seit Stunden unterwegs war. Er wollte noch
vor Einbruch der Dunkelheit am Ziel sein.
    Nach einem Blick auf die Armbanduhr nickte er zufrieden. »Wir
schaffen’s noch«, sagte er zu seiner neben ihm sitzenden
Frau. »Bevor die Sonne untergeht, sind wir in Rosas.«
    Elke Denner setzte sich bequem in ihren Sitz und blickte an ihrem
Mann vorbei auf das blaue, schäumende Meer jenseits der
zerklüfteten Steilküste, die sie in schwindelerregender
Höhe passierten.
    Es gab einen bequemeren Weg, um nach Rosas zu kommen, doch der war
weniger romantisch und abwechslungsreich als diese Route, die jedem
Betrachter die ganze Pracht der Costa Brava vor Augen
führte.
    Die zweiundvierzigjährige Ehefrau   wollte etwas
über die Landschaft sagen, als sie plötzlich einen leisen,
spitzen Schrei von sich gab.
    Denner fuhr zusammen. Instinktiv ging er auf die Bremse. Der nicht
schnell fahrende Wagen stand sofort.
    »Verdammt noch mal, was ist denn los? Warum schreist du denn
so?« stieß er hervor. Sein Gesicht war puterrot.
    »Schau doch dort hinüber… mein Gott, Paul… was
ist denn das?«
    Elke Denner deutete mit der ausgestreckten Hand in die angegebene
Richtung. Ihres Mannes Kopf flog herum.
    Der Urlauber aus Darmstadt glaubte, seinen Augen nicht trauen zu
dürfen.
    Groß und mächtig wuchs über den zerklüfteten,
von schaumigen Wellen umspülten Felsen ein riesiger Kopf vor
ihnen in die Höhe! Der Schädel war riesig wie ein Gebirge,
und ein leises Stöhnen entrann den Lippen des Fahrers.
    Eine Halluzination! Ein Alptraum!
    Was ging hier vor, abseits jeglicher menschlicher Siedlung,
unbeobachtet von anderen Zeugen? Einige Sekunden saßen die
beiden Menschen in ihrem Fahrzeug wie erstarrt.
    Schon die Tatsache, daß mitten über dem Meer ein
riesiger Kopf quasi aus der Dämmerung des grauen Himmels vor
ihnen auftauchte, war bemerkenswert genug. Noch unheimlicher war die
Tatsache, daß an diesem Kopf die Proportionen nicht
stimmten.
    Das Gesicht wirkte klein und zusammengepreßt unter der Last
eines riesigen, sich auftürmenden Gehirns, das mehr als
Zweidrittel des Gebildes einnahm.
    »Den Fotoapparat. Schnell!« reagierte Paul Denner.
»Im Handschuhfach… so beeil’ dich doch!«
    Endlich gelang es ihm, sich aus der Erstarrung zu befreien.
    Er warf einen Blick zurück, um sich zu vergewissern,
daß kein weiteres Fahrzeug unterwegs war, dachte automatisch
daran, die Warnblinkanlage einzuschalten und drückte dann die
Tür auf.
    Mit zitternden Händen reichte Elke Denner ihrem Mann die
Kamera. »Sei vorsichtig«, wisperte sie erregt.
    Paul Denner lief bis zum Rand der Straße, die durch
faustdicke Rundeisen und einen einfachen Draht notdürftig vom
Abgrund getrennt wurde.
    Der Wind an der Steilküste war scharf und nahm plötzlich
ohne ersichtlichen Grund orkanartige Ausmaße an.
    Paul Denner erkannte die Gefahr zu spät.
    Der Wind fuhr ihm ins Haar und zerzauste es.
    Der Mann mußte sich gegen die Bö stemmen, wollte er
nicht in den Abgrund gerissen werden, an dem er stand.
    Doch er schaffte es nicht mehr.
    »Paul!« Der Aufschrei über die Lippen der Frau, die
im Auto zurückgeblieben war, zerschnitt die Luft.
    Elke Denner riß die Hände vor den Mund, als sie sah,
was geschah.
    Ihr Mann verlor den Halt.
    Er taumelte bis zu dem dünnen, gespannten Draht, kippte nach
vorn und riß instinktiv die Arme in die Höhe, als wolle er
sich gegen eine Wand stützen.
    Paul Denner geriet in eine wirbelnde Bewegung, wurde wie an
unsichtbaren Fäden emporgezogen und von dem Orkan mitgerissen.
Wie ein welkes Blatt wirbelte er durch die graue, tobende Luft.
    Noch immer hielt er die Kamera umspannt und jagte direkt auf das
riesige, violett-blaue Gesicht zu.
    Das Antlitz war voller Runzeln und Falten. Der schreiende, sich um
seine eigene Achse drehende Tourist war dem Gesicht schon so nahe,
daß er die Sinnensorgane nicht mehr wahrnehmen konnte.
    Vor ihm dehnte sich eine violettblaue, zerklüftete Landschaft
aus, in die er hineinjagte.
    Jeden Augenblick mußte er mit diesem Gesicht
kollidieren.
    Der Orkan brauste. Die Luft um ihn herum pfiff. Denner glaubte,
wie ein menschlicher Bohrer durch die Atmosphäre gejagt zu
werden.
    »Paul! Paul!« Die Frau schrie den Namen ihres Mannes
immer wieder. Sie wußte in diesem Augenblick nicht, was sie tat
und
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