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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Autoren: Anonymer Verfasser
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günstigen Wind hatten, waren sie in wenigen Stunden viele Meilen fern von dem Tyrannen. Der stand aber morgens ganz früh auf, und als er vernommen hatte, daß das Schiff abgesegelt war, vermeinte er, sich der Jungfrau zu seiner Lust erfreuen zu können, schritt nach ihrem Palaste und trat in den Hof ein; da er dort auf niemand stieß, stieg er die Treppe hinan und kam in den Saal, den er, wie alle andern Gemächer, geplündert fand, und sah niemand erscheinen; und wie er jetzt die Öffnung entdeckte, die Dschasimin gemacht hatte, und sie wie ein Verzweifelter betrat, gelangte er in das Gemach, das er Gul angewiesen hatte. Er merkte nun auch den argen Spott, den die Jünglinge mit ihm getrieben hatten, und wurde von einem so plötzlichen Kummer und von so übermäßiger Wut ergriffen, daß er nach zwei Tagen, ohne daß man eine Ursache wußte, elendiglich starb. Da er keinen andern Erben als die eingekerkerte Tochter hinterließ, beredeten sich die Wesire lange über den Nachfolger im Reiche und beschlossen endlich, die Tochter des toten Tyrannen aus dem Gefängnis zu holen und sie mit ihrem Vetter, des getöteten Bruders Sohn, zu vermählen und ihn zum Nachfolger im Reiche zu machen. Diesen Beschluß führten sie sogleich aus und feierten feierlich die Hochzeit. Als dann nicht lange Zeit hernach der neue König von seiner Gemahlin vernahm, wie er um ihrer Gebete und um ihres abgelegten Gelübdes willen der Nachfolger in einem so großen Reiche geworden war, und daß dies dank dem von Gul gegebenen Rat eingetreten sei, ließ er verkünden, die Jünglinge sollten sogleich mit Gul und Akil zurückkehren, da er ihnen gerne eine der Größe der empfangenen Wohltat würdige Belohnung geben wolle. Doch wie er vernahm, daß sie, obwohl sie Gewißheit über den Tod des Tyrannen und über jegliches Ereignis hatten, aus Furcht dennoch nicht hierher zurückzukommen wagten, schickte er einige Abgesandte an sie, mit denen sie sich, nun ihres Lebens versichert, vor dem neuen Könige einstellten. Und Gul erzählte ihm die Geschichte von Anfang an, und er sagte dem höchsten Gott unendlichen Dank. Er war auch bereit, das Gelübde seiner Frau zu erfüllen, und bekannte sich mit ihr zusammen zu Christus. Dasselbe taten auch seine Wesire wegen des Wunders, das sie gesehen hatten; und es geschah, daß sich auch binnen kurzem alle Völker seiner Stadt und seines Landes taufen ließen. Und als der König aufs neue seine Hochzeit nach dem Brauche der christlichen Kirche gefeiert hatte, wünschte er auch, daß Dschasimin, der Urheber seiner so hohen Würde, Akil, Guls getreue Gefährtin, heiratete und sagte ein feierliches und großes Fest an, zu dem aus fernen Ländern mancher herkam. Am Ende des Festes aber machte er Firischte und Dschasimin zu Besitzern eines großen Schatzes; und sie führten zusammen mit ihren Weibern ein christliches Leben, indem sie ohne Unterlaß zu Gott, dem Allmächtigen, wegen der empfangenen Wohltat Gebete sandten.«
    Behram-Gur hatte schon seine frühere Gesundheit wiedergefunden und befahl, als der sechste Geschichtenerzähler mit seiner Geschichte zu Ende gekommen war, seinem Palastaufseher, daß am folgenden Morgen, am Sonntage, sein ganzes Gefolge, mit goldenen Gewändern angetan, beizeiten nach dem siebenten Palaste, der ebenfalls ganz mit goldenen Verzierungen geschmückt war, gehen sollte. Und es hörten die Vornehmen den Willen des Gebieters, und jeder war bereit, ihm sogleich nachzukommen. Der Kaiser hatte an diesem Tage große Verwunderung über all die Ereignisse gezeigt, die infolge des grausamen und gottlosen Richterspruchs, den der wilde Tyrann über Firischte verhängt hatte, eingetroffen waren. Wie dann die Helle des kommenden Morgens hereinzubrechen begann, stieg er zu Pferde, da er sich heute so gesund fühlte, daß er der Sänfte nicht mehr bedurfte, und kam zur dritten Stunde nach dem siebenten Palaste. Er stieg ab und ging der Jungfrau, die hier war, entgegen. Er nahm sie bei der Hand, unterhielt sich mit ihr eine gute Zeit über in lieblichen Gesprächen und erlabte sich an sehr köstlichen Speisen. Dann befahl er, daß der letzte Geschichtenerzähler seine Geschichte beginnen sollte. Der stand nicht gar weit von dem kaiserlichen Herrn und hörte den Befehl und seinen Wunsch und gab seiner Geschichte, nachdem er ihm zuerst die schuldige Ehrerbietung erwiesen, solchen Anfang:
    »Die andern Geschichtenerzähler, o Herr, haben, glaube ich, alle in ihrer Geschichte Ereignisse erzählt, die
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