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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Autoren: Anonymer Verfasser
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andern begegnet sind, ich hingegen will dir nicht anderer Leute Begebenheiten, sondern mir selbst zugestoßene erzählen. In meinem Vaterlande, das sich Kumis nennt, sind, ganz abgesehen von der Wissenschaft, in der die Menschen dort ihre Kinder zu unterweisen pflegen, die gar selten, die nicht gleichzeitig auch Musik treiben; deshalb gibt es daselbst gar viele, die sich in dieser Kunst auszeichnen. Und ich bin eines Mannes Sohn, der, wennschon er in ärmlichen Verhältnissen lebte, gern sein sauer Verdientes daranwandte, um mich andern Jünglingen meines Alters an Kenntnissen gleichzustellen, und mich in der Jugendzeit so unausgesetzt an das Studium der Musik trieb, daß ich bei weitem alle meine Gefährten in ihr überragte. Und wie ich bemerkte, daß in meiner Vaterstadt das Lautenschlagen sehr geschätzt wurde, verlegte ich mich ganz darauf; so kam es denn in kurzer Zeit, daß ich mit jedem Tage einen größeren Verdienst erlangte und kurz über lang alle andern an Fertigkeit überragte. In dieser Kunst unterwies ich nun aus meiner Vaterstadt viele und auch andere, die aus der Nachbarstadt zu mir kamen, um sie zu erlernen, und ich pflegte mit ihr eine große Summe Geldes zu erwerben.
    Es geschah aber zu derselben Zeit, daß ein alter Kaufmann in unsere Stadt kam, der eine Jungfrau mit sich brachte, die so ausgezeichnet die Laute schlug, daß niemand auf der ganzen Welt gefunden werden konnte, der es ihr in dieser Kunst gleichtat. Als sich dieses Gerücht in der Stadt verbreitete, kam es auch dem Gebieter zu Ohren, der die Musik gar sehr liebte; und er ließ den alten Kaufmann vor sich kommen, durch dessen Worte er von den Eigenschaften der Jungfrau wohl unterrichtet wurde. Er bat ihn herzlich, er solle sie vor sein Angesicht führen. Hierauf antwortete ihm der Kaufmann, er habe die Jungfrau ihrer seltenen Geschicklichkeiten wegen, die sie besäße, an Tochter Statt angenommen, und da sie willens wäre, stets keusch zu leben, lasse er sie in einem Gemache von vier Dienerinnen bedienen, aus dem sie nicht herausgehen wolle, da sie hier in Gebeten und Tugenden den ganzen Tag zu verbringen beabsichtige. Er bat ihn inständigst, wenn er ihre Kunst zu hören wünsche, möge es ihm gefallen, mit ihm in ihr Gemach zu kommen, auf daß er dort die seltene Kunst der Jungfrau zu seiner großen Zufriedenheit und zu seinem Wohlgefallen hören könne. Wie nun der Herr die Ursache vernommen hatte, beschloß er, da man die Jungfrau schwerlich aus dem Hause führen konnte, mit Anbruch der Nacht, nur von einem einzigen Großen begleitet, in das Haus des Kaufmanns zu gehen. Wie er dann dort war, trat er in das Gemach der Jungfrau ein und sah ihre Schönheit und Sittsamkeit und begann sie gar heftig zu lieben; er bat sie auch, sie möchte ihm den Gefallen erweisen, ihn ihre Kunst vernehmen zu lassen. Den Wunsch des Herrn erfüllend, nahm sie die Laute zur Hand und begann sie so süß zu schlagen, daß er, sich gegen den Kaufmann wendend, erklärte, er habe niemals einen in dieser Kunst vernommen, welcher der Vortrefflichkeit der Jungfrau im entferntesten gleichkäme. Dann bat er sie von neuem, sie möchte sich noch ein zweites Mal hören lassen; sie aber war ganz gehorsam und bereit, nahm die Laute zur Hand und schlug sie eine Zeitlang so süß, daß sich der Herr, ehe er von ihr ging, sehr heftig um ihrer Kunst willen in sie verliebte und ihr ein gar kostbares Geschmeide schenkte; und nachdem er ihr und dem Kaufmann für die empfangene Gunst herzlich gedankt hatte, ging er in seinen Palast zurück. Als jetzt der Ruf von der großen Auszeichnung der Jungfrau in dieser Kunst durch die ganze Stadt ging, geschah es in kurzer Zeit, daß ich mit dem Verluste des Ansehens und des Rufes, in denen ich vorher gestanden hatte, auch die Schüler noch verlor. Ich war nun über die Maßen betrübt, den großen Nutzen verloren zu haben, den ich mit dieser Fertigkeit erworben hatte, und ging eines Tages in das Haus des Kaufmanns; nachdem ich ihn umarmt hatte, ließ ich ihn um den großen Schaden wissen, den ich durch sein Kommen, zumal er die Jungfrau mit sich gebracht hatte, erlitten hatte, und bat ihn, da ich um seinetwillen in einen so schmerzensreichen Zustand versetze sei, möge er es mir wenigstens erlauben, ihre Kunst zu hören. Er ging zu der Jungfrau und offenbarte ihr meinen Wunsch; und da ich schon in einem hohen Alter stand, ließ sie mich gern eintreten, um sie anzuhören. Und sobald ich mich in ihrer Gegenwart befand, sah ich ihre
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