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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Autoren: Anonymer Verfasser
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einzige Schönheit und begann zu glauben, wenn es um ihre Kunst auch so stünde, würde sie mich und jeden andern in ihr übertreffen. Um mich dessen zu vergewissern, bat ich sie herzlich, sie möchte die Laute zur Hand nehmen und damit einverstanden sein, mich ihre große Kunst hören zu lassen. Sie aber erhörte mich sogleich und ließ mich eine so süße Weise vernehmen, daß mir gewiß wurde, man könnte niemanden auf der ganzen Welt finden, der es ihr in dieser Kunst gleichtäte. Da flößte sie mir nun mit ihrer Geschicklichkeit Zuneigung ein, und ich bat sie und auch den Kaufmann gar herzlich, sie möchten darein willigen, da ich ja schon alt wäre, mich als Diener anzunehmen, weil ich der seltenen Kunst der Jungfrau wegen nicht verfehlen würde, ihnen treue und fleißige Dienste zu leisten. Man erhörte die Bitte, und ich wurde von dem Kaufmann zur Besorgung des jungfräulichen Gemaches bestimmt. Und ich gab mir Mühe, mir beständig durch Pünktlichkeit im Dienste ihre Huld zu erwerben; und nach wenigen Tagen merkte ich, daß sie mich wie den eignen Vater liebte und verehrte. Wie ich nun durch die Süße eines solchen Dienstes für den empfangenen Schaden vollauf entschädigt wurde und ein ruhiges und glückliches Leben in dem Gemache der Jungfrau lebte, merkte ich, daß sie, sooft sie die Laute zu schlagen pflegte, gar schwere Seufzer ausstieß, und da ich glaubte, daß die Liebe dies verursachte, nahm ich mir eines Tages vor, sie danach zu fragen. Und nach Verlauf dreier Monate bot sich mir die Gelegenheit; als sie sich mit mir über mancherlei Naturereignisse und den unglücklichen Zustand der Sterblichen unterhielt, sprach ich zu ihr: ›Ach, o meine Herrin, laß es dich nicht verdrießen, mir die Ursache der vielen Seufzer zu offenbaren, die ich dich fortwährend ausstoßen höre, da ich als alter und erfahrener Mann doch vielleicht irgendein Heilmittel für deinen Kummer finden könnte. Und wenn dir meine Frage, welche die tiefe Verehrung, die ich deiner Tugend zolle, allein verursacht, zu keck zu sein scheint, bitte ich dich demütig um Verzeihung!« Als ich diese Worte ausgesprochen hatte, fing die Jungfrau ihretwegen zu weinen an und sprach zu mir: »Weil du mir, o teuerster Vater, bei deinem Dienste durch sehr viel Zeichen zu erkennen gäbest, daß du mich stets wie eine eigene Tochter innig lieb hattest, und du mir in allen Dingen treue und fleißige Dienste leistetest, will ich dir augenblicklich die Ursache meiner Seufzer erzählen; da ich nun aber nicht will, daß sie irgendeinem andern offenbar wird, bitte ich dich gar herzlich, du wollest sie geheimhalten und nach deinem Können für mein großes Leiden ein Heilmittel suchen. Wisse also, daß ich im Alter von zehn Jahren unter der Gewalt eines schlechten und elenden Oheims stand – ehe ich noch aus den Windeln kam, waren mir Vater und Mutter gestorben – und von ihm an einen reichen Kaufmann verkauft wurde, weil ich mich viel mit Musik abgab und es keinen meines Alters gab, der mich in dieser Kunst überragte. Der führte mich nun fünf Jahre lang mit sich durch die verschiedenen Teile der Welt und ließ mich vor vielen Herren spielen und pflegte mit meiner Kunst ziemlich viel Geld zu verdienen. Nun ereignete es sich, als er mit seinem Kaufmannsgute in ein fernes Land in das Serail eines großmächtigen Fürsten kam und mich hier vor vielen seiner Großen spielen ließ, die ihn deswegen reich beschenkten, daß der Fürst von meiner Kunst vernahm, und da er die Musik über alles liebte, sogleich meinen Herrn bitten ließ, mich vor sich zu führen. Wie ich nun vor ihm stand, nahm ich die Laute in die Hand und merkte wohl, als ich sie schlug, daß der Fürst viel Gefallen an meiner Kunst fand. Darauf nahm ich Urlaub von ihm und kehrte, mit einem schönen Geschmeide beschenkt, mit meinem Herrn in unser Haus zurück.
    Der Fürst ließ ihn aber am selben Tage wissen, daß er ihm für meine Person jeden auch noch so hohen Preis zahlen wollte, wenn er mich ihm überließe. Da verkaufte er mich ihm; und nachdem er eine große Summe Geldes von ihm empfangen hatte, kehrte er reich in sein Vaterland zurück. Nun ließ mich der Fürst sogleich mit reichen und kostbaren Gewändern bekleiden und verliebte sich in einer kurzen Spanne Zeit so heftig in mich, daß ich, obwohl ich seine Sklavin war, alles von ihm erlangen konnte. Da jedoch das Glück dem Sterblichen nicht allzulange hold und wohlgesinnt zu sein pflegt, so geschah es, als er mich eines Tages
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